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in vollem Trabe vor jenes Haus gefahren sei. Trotz alledem wurde die Anklage gegen v. Zastrow erhoben. Die Erregung des Publikums war so furchtbar, daß man es nicht wagte, Zastrow von der Stadtvogtei, dem damals am Molkenmarkt Nr. 1 belegenen Untersuchungsgefängnis, nach der Klosterstraße zu transportieren, woselbst im „Lagerhause“, einem sehr altertümlichen großen Gebäude, im ersten Stock das Berliner Stadtschwurgericht untergebracht war. Es wurde befürchtet, das Publikum werde den Angeklagten lynchen. Deshalb wurde der im ersten Stock des Hauses Molkenmarkt 3 belegene Gerichtssaal zum Schwurgerichtssaal hergerichtet. Dadurch wurde es möglich, Herrn v. Zastrow über einen langen Gang, der die Stadtvogtei mit dem damaligen Berliner Justizpalast, Molkenmarkt Nr. 3, der sogenannten Kegelbahn verband, in den Gerichtssaal zu transportieren, ohne eine Straße passieren zu müssen. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit während der ganzen Dauer der Verhandlung ausgeschlossen. Allein, „in Berücksichtigung des Umstandes, daß die Angelegenheit in der ganzen Kulturwelt ein so großes Aufsehen erregt hatte“, beschloß der Gerichtshof, die Vertreter der Presse und eine Anzahl distinguierte Persönlichkeiten, insbesondere Juristen, Ärzte und Schriftsteller, zuzulassen. Der Zuhörerraum war infolgedessen während der vierzehntägigen Dauer der Verhandlung stets überfüllt. Als Zeuge erschien u. a. der achtjährige Emil Handke, ein Knabe mit sehr intelligentem Gesichtsausdruck. v. Zastrow mußte seinen Winterhavelock anziehen, den Hut, den er im Januar getragen hatte, aufsetzen und aus der Anklagebank vor den Knaben treten. Der Knabe erschrak und begann bitterlich zu weinen. Er konnte aber nicht mit voller Bestimmtheit sagen, daß der Angeklagte der Attentäter war.

Im Laufe der Verhandlung meldete sich eines Tages

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Hugo Friedländer: Aus dem homosexuellen Leben Alt-Berlins. Max Spohr, Leipzig 1914, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Aus_dem_homosexuellen_Leben_Alt-Berlins.djvu/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)