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sagen: Gewiß nicht! Dem Verdrängten müssen wir eher einen starken Auftrieb zuschreiben, einen Drang zum Bewußtsein durchzudringen. Der Widerstand kann nur eine Äußerung des Ichs sein, das seinerzeit die Verdrängung durchgeführt hat und sie jetzt aufrecht halten will. So haben wir’s auch früher immer aufgefaßt. Seitdem wir eine besondere Instanz im Ich annehmen, die die einschränkenden und abweisenden Forderungen vertritt, das Überich, können wir sagen, die Verdrängung sei das Werk dieses Überichs, es führe sie entweder selbst durch oder in seinem Auftrag das ihm gehorsame Ich. Wenn nun der Fall vorliegt, daß der Widerstand in der Analyse dem Patienten nicht bewußt wird, so heißt das entweder, daß das Überich und das Ich in ganz wichtigen Situationen unbewußt arbeiten können oder, was noch bedeutsamer wäre, daß Anteile von beiden, Ich und Überich selbst, unbewußt sind. In beiden Fällen haben wir von der unerfreulichen Einsicht Kenntnis zu nehmen, daß, (Über-) Ich und Bewußt einerseits, Verdrängtes und Unbewußt anderseits keineswegs zusammenfallen.

Meine Damen und Herren! Ich empfinde das Bedürfnis, eine Atempause zu machen, die auch Sie als wohltuend begrüßen werden, und mich, ehe ich fortsetze, bei Ihnen zu entschuldigen. Ich will Ihnen Nachträge zu einer Einführung in die Psychoanalyse geben, die ich vor 15 Jahren begonnen habe, und muß mich benehmen, als hätten auch Sie in dieser Zwischenzeit nichts anderes als Psychoanalyse getrieben. Ich weiß, das ist eine ungehörige Zumutung, aber ich bin hilflos, ich kann es nicht anders machen. Es hängt wohl daran,

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Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/97&oldid=- (Version vom 21.5.2018)