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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

dieser Verzücktheiten führte ihn die Person im Glanze zuerst in eine Stadt, in deren Straßen die Menschen alle Werke der Finsternis übten, und dann zum Gegensatz auf eine schöne Au, in der Einsiedler ihr gottgefälliges Leben führten und greifbare Beweise von Gottes Gnade und Fürsorge erhielten. Dann erschien an Stelle Christi die heilige Mutter selbst, die ihn unter Berufung auf ihre früher geleistete Hilfe mahnte, dem Befehl ihres liebsten Sohnes nachzukommen. „Da er sich hiezu nicht recht resolviret“, kam Christus am nächsten Tage wieder und setzte ihm mit Drohungen und Versprechungen tüchtig zu. Da gab er endlich nach, beschloß aus diesem Leben auszutreten und zu tun, was von ihm verlangt wurde. Mit dieser Entschließung endet die zweite Phase. Der Maler konstatiert, daß er von dieser Zeit an keine Erscheinung oder Anfechtung mehr gehabt hat.

Indes muß dieser Entschluß nicht sehr gefestigt oder seine Ausführung allzulang aufgeschoben worden sein, denn als er am 26. Dezember in St. Stephan seine Andacht verrichtete, konnte er sich beim Anblick einer wackeren Jungfrau, die mit einem wohlaufgeputzten Herrn ging, der Idee nicht erwehren, er könnte selbst an Stelle dieses Herrn sein. Das forderte Strafe, noch am selben Abend traf es ihn wie ein Donnerschlag, er sah sich in hellen Flammen und fiel in Ohnmacht. Man bemühte sich, ihn zu erwecken, aber er wälzte sich in der Stube, bis Blut aus Mund und Nase kam, verspürte, daß er sich in Hitze und Gestank befand, und hörte eine Stimme sagen, daß ihm dieser Zustand als Strafe für seine unnützen und eiteln Gedanken geschickt worden sei. Später wurde er dann von bösen Geistern mit Stricken gegeißelt und ihm versprochen, daß er alle Tage so gepeinigt werden solle, bis er sich entschlossen habe, in den Einsiedlerorden einzutreten. Diese Erlebnisse setzten sich, soweit die Aufzeichnungen reichen (13. Januar) fort.

Wir sehen, wie bei unserem armen Maler die Versuchungsphantasien von asketischen und endlich von Strafphantasien abgelöst werden, das Ende der Leidensgeschichte kennen wir bereits. Er begibt sich im Mai nach Mariazell, bringt dort die Geschichte von einer früheren,

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/30&oldid=- (Version vom 31.7.2018)