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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

aber diesmal in einem prächtig geschmückten Saal, in dem vornehme Herren mit schönen Damen tanzten. Derselbe Kavalier, der ihn schon einmal versucht, machte ihm einen auf Malerei bezüglichen Antrag[1] und versprach ihm dafür ein schönes Stück Geld. Nachdem er diese Vision durch Gebete zum Verschwinden gebracht, wiederholte sie sich einige Tage später in noch eindringlicherer Form. Diesmal schickte der Kavalier eine der schönsten Frauen, die an der Festtafel saßen, zu ihm hin, um ihn zur Gesellschaft zu bringen, und er hatte Mühe, sich der Verführerin zu erwehren. Am erschreckendsten war aber die bald darauf folgende Vision eines noch prunkvolleren Saales, in dem ein von „Goedstuckh aufgerichteter Thron“ war. Kavaliere standen herum und erwarteten die Ankunft ihres Königs. Dieselbe Person, die sich schon so oft um ihn bekümmert hatte, ging auf ihn zu und forderte ihn auf, den Thron zu besteigen, sie „wollten ihn für ihren König halten und in Ewigkeit verehren“. Mit dieser Ausschweifung seiner Phantasie schließt die erste, recht durchsichtige Phase der Versuchungsgeschichte ab.

Es mußte jetzt zu einer Gegenwirkung kommen. Die asketische Reaktion erhob ihr Haupt. Am 20. Oktober erschien ihm ein großer Glanz, eine Stimme daraus gab sich als Christus zu erkennen und forderte von ihm, daß er dieser bösen Welt entsagen und 6 Jahre lang in einer Wüste Gott dienen solle. Der Maler litt unter diesen heiligen Erscheinungen offenbar mehr als unter den früheren dämonischen. Aus diesem Anfall erwachte er erst nach 2½ Stunden. Im nächsten war die von Glanz umgebene heilige Person weit unfreundlicher, drohte ihm, weil er den göttlichen Vorschlag nicht angenommen hatte, und führte ihn in die Hölle, damit er durch das Los der Verdammten geschreckt werde. Offenbar blieb aber die Wirkung aus, denn die Erscheinungen der Person im Glanze, die Christus sein sollte, wiederholten sich noch mehrmals, jedesmal mit stundenlanger Geistesabwesenheit und Verzücktheit für den Maler. In der großartigsten


  1. Eine mir unverständliche Stelle.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/29&oldid=- (Version vom 1.8.2018)