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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

bemühen, die nicht unwesentlichen Widersprüche, so gut er konnte, wegzuschaffen. Da die beiden Verschreibungen, die ihm vorlagen, auf 1669 lauteten, half er sich durch die Ausrede, die er in das Zeugnis des Abtes einschaltete.

Man erkennt leicht, worin die Schwäche dieser sonst ansprechenden Konstruktion gelegen ist. Die Angabe zweier Verschreibungen, einer schwarzen und einer blutigen, findet sich bereits im Zeugnis des Abtes Franciscus. Ich habe also die Wahl, entweder dem Kompilator unterzuschieben, daß er an diesem Zeugnis im engen Anschluß an seine Einschaltung auch etwas geändert hat, oder ich muß bekennen, daß ich die Verwirrung nicht zu lösen vermag[1].

Die ganze Diskussion wird den Lesern längst überflüssig und die in ihr behandelten Details zu unwichtig erschienen sein. Aber die Sache gewinnt ein neues Interesse, wenn man sie nach einer bestimmten Richtung hin verfolgt.

Ich habe eben vom Maler ausgesagt, daß er, durch den Verlauf seiner Krankheit unliebsam überrascht, eine frühere Verschreibung (die mit Tinte) erfunden habe, um seine Position gegen die geistlichen Herren in Mariazell behaupten zu können. Nun schreibe ich für Leser,


  1. Der Kompilator, meine ich, fand sich zwischen zwei fixen Punkten eingeengt. Einerseits fand er sowohl im Geleitbrief des Pfarrers wie im Attest des Abtes die Angabe, daß die Verschreibung (zumindest die erste) im Jahre 1668 ausgestellt worden sei, anderseits zeigten beide im Archiv aufbewahrten Verschreibungen die Jahreszahl 1669; da er zwei Verschreibungen vor sich liegen hatte, stand es für ihn fest, daß zwei Verschreibungen erfolgt waren. Wenn im Zeugnis des Abtes nur von einer die Rede war, wie ich glaube, so mußte er in dieses Zeugnis die Erwähnung der anderen einsetzen und dann den Widerspruch durch die Annahme einer Vordatierung aufheben. Die Abänderung des Textes, die er vornahm, stößt an die Einschaltung, die nur von ihm herrühren kann, unmittelbar an. Er war gezwungen Einschaltung und Abänderung durch die Worte sequenti vero anno 1669 zu verbinden, weil der Maler in der (sehr beschädigten) Legende zum Titelbilde ausdrücklich geschrieben hatte:
    Nach einem Jahr würdt Er

    … schrökhliche betrohungen in ab-
    ….. gestalt Nr. 2 bezwungen sich,

    …….. n Bluut zu verschreiben.

    Das „Verschreiben“ des Malers, als er die Syngraphae anfertigte, durch das ich zu meinem Erklärungsversuch genötigt worden bin, erscheint mir nicht weniger interessant als seine Verschreibungen selbst.

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)