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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

den männlichen Protest im Zusammenhang des Kastrationskomplexes, ohne seine Allmacht oder Allgegenwart bei den Neurosen vertreten zu können. Der ausgeprägteste Fall von männlichem Protest in allen manifesten Reaktionen und Charakterzügen, der meine Behandlung aufgesucht hat, bedurfte ihrer wegen einer Zwangsneurose mit Obsessionen, in denen der ungelöste Konflikt zwischen männlicher und weiblicher Einstellung (Kastrationsangst und Kastrationslust) zu deutlichem Ausdruck kam. Überdies hatte der Patient masochistische Phantasien entwickelt, die durchaus auf den Wunsch, die Kastration anzunehmen, zurückgingen, und war selbst von diesen Phantasien zur realen Befriedigung in perversen Situationen vorgeschritten. Das Ganze seines Zustandes beruhte – wie die Adlersche Theorie überhaupt – auf der Verdrängung, Verleugnung, frühinfantiler Liebesfixierungen.

Der Senatspräsident Schreber fand seine Heilung, als er sich entschloß, den Widerstand gegen die Kastration aufzugeben und sich in die ihm von Gott zugedachte weibliche Rolle zu fügen. Er wurde dann klar und ruhig, konnte seine Entlassung aus der Anstalt selbst durchsetzen und führte ein normales Leben bis auf den einen Punkt, daß er einige Stunden täglich der Pflege seiner Weiblichkeit widmete, von deren langsamem Fortschreiten bis zu dem von Gott bestimmten Ziel er überzeugt blieb.


IV. DIE ZWEI VERSCHREIBUNGEN

Ein merkwürdiges Detail in der Geschichte unseres Malers ist die Angabe, daß er dem Teufel zwei verschiedene Verschreibungen ausgestellt. Die erste, mit schwarzer Tinte geschriebene, hatte den Wortlaut:

„Ich Chr. H. vndterschreibe mich diesen Herrn sein leibeigener Sohn auff 9 Jahr.“

Die zweite, mit Blut geschrieben, lautet:

„Ch. H. Ich verschreibe mich dißen Satan ich sein leibeigener Sohn zu sein vnd in 9. Jahr ihm mein Leib und Seel zuzugeheren.“

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/21&oldid=- (Version vom 31.7.2018)