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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

Vorerst die Rolle der Zahl Neun. Der Pakt mit dem Bösen wird auf neun Jahre geschlossen. Der gewiß unverdächtige Bericht des Pfarrers von Pottenbrunn äußert sich klar darüber: pro novem annis Syngraphen scriptam tradidit. Dieser vom 1. September 1677 datierte Geleitbrief weiß auch anzugeben, daß die Frist in wenigen Tagen abgelaufen wäre: quorum et finis 24 mensis hujus futurus appropinquat. Die Verschreibung wäre also am 24. September 1668 erfolgt[1]. Ja in diesem Bericht hat die Zahl Neun noch eine andere Verwendung. Nonies – neunmal – will der Maler den Versuchungen des Bösen widerstanden haben, ehe er sich ihm ergab. Dies Detail wird in den späteren Berichten nicht mehr erwähnt, „Post annos novem“ heißt es dann auch im Attest des Abtes und „ad novem annos“, wiederholt der Kompilator in seinem Auszug, ein Beweis, daß diese Zahl nicht als gleichgültig angesehen wurde.

Die Neunzahl ist uns aus neurotischen Phantasien wohl bekannt. Sie ist die Zahl der Schwangerschaftsmonate und lenkt, wo immer sie vorkommt, unsere Aufmerksamkeit auf eine Schwangerschaftsphantasie hin. Bei unserem Maler handelt es sich freilich um neun Jahre, nicht um neun Monate, und die Neun, wird man sagen, ist auch sonst eine bedeutungsvolle Zahl. Aber wer weiß, ob die Neun nicht überhaupt ein gutes Teil ihrer Heiligkeit ihrer Rolle in der Schwangerschaft verdankt; und die Wandlung von neun Monaten zu neun Jahren braucht uns nicht zu beirren. Wir wissen vom Traum her, wie die „unbewußte Geistestätigkeit“ mit den Zahlen umspringt. Treffen wir z. B. im Traum auf eine Fünf, so ist diese jedesmal auf eine bedeutsame Fünf des Wachlebens zurückzuführen, aber in der Realität waren es fünf Jahre Altersunterschied oder eine Gesellschaft von fünf Personen, im Traum erscheinen sie als fünf Geldscheine oder fünf Stücke Obst. D. h. die Zahl wird beibehalten, aber ihr Nenner beliebig, je nach den Anforderungen der Verdichtung und Verschiebung vertauscht. Neun Jahre im Traum können also ganz leicht neun Monaten der Wirklichkeit


  1. Der Widerspruch, daß die wiedergegebenen Verschreibungen beide die Jahreszahl 1669 zeigen, wird uns später beschäftigen.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)