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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

sie dies bewerkstelligt, indem sie kleine und nebensächliche Züge, wie man sie überall finden kann, übermäßig betont und zu Trägern der weitgehendsten und fremdartigsten Schlüsse erhebt. Vergeblich würden wir dagegen geltend machen, daß durch diese Abweisung so viele schlagende Analogien aufgehoben und feine Zusammenhänge zerrissen werden, die wir in diesem Falle aufzeigen können. Die Gegner werden sagen, diese Analogien und Zusammenhänge bestehen eben nicht, sondern werden von uns mit überflüssigem Scharfsinn in den Fall hineingetragen.

Nun, ich werde meine Entgegnung nicht mit den Worten einleiten: seien wir ehrlich oder seien wir aufrichtig, denn das muß man immer sein können, ohne einen besonderen Anlauf dazu zu nehmen, sondern ich werde mit schlichten Worten versichern, daß ich wohl weiß, wenn jemand nicht bereits an die Berechtigung der psychoanalytischen Denkweise glaubt, werde er diese Überzeugung auch nicht aus dem Fall des Malers Chr. Haitzmann im siebzehnten Jahrhundert gewinnen. Es ist auch gar nicht meine Absicht, diesen Fall als Beweismittel für die Gültigkeit der Psychoanalyse zu verwerten; ich setze vielmehr die Psychoanalyse als gültig voraus und verwende sie dazu, um die dämonologische Erkrankung des Malers aufzuklären. Die Berechtigung hierzu nehme ich aus dem Erfolg unserer Forschungen über das Wesen der Neurosen überhaupt. In aller Bescheidenheit darf man es aussprechen, daß heute selbst die Stumpferen unter unseren Zeit- und Fachgenossen einzusehen beginnen, daß ein Verständnis der neurotischen Zustände ohne Hilfe der Psychoanalyse nicht zu erreichen ist.

„Die Pfeile nur erobern Troja, sie allein“

bekennt der Odysseus in Sophokles’ Philoktet.

Wenn es richtig ist, die Teufelsverschreibung unseres Malers als neurotische Phantasie anzusehen, so bedarf eine psychoanalytische Würdigung derselben keiner weiteren Entschuldigung. Auch kleine Anzeichen haben ihren Sinn und Wert, ganz besonders unter den Entstehungsbedingungen der Neurose. Man kann sie freilich ebensowohl überschätzen wie unterschätzen, und es bleibt eine Sache des Takts,

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)