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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

III. DER TEUFEL ALS VATERERSATZ

Ich besorge, eine nüchterne Kritik wird uns nicht zugeben, daß wir mit jener Umdeutung den Sinn des Teufelspakts bloßgelegt haben. Sie wird zweierlei Einwendungen dagegen erheben. Erstens: es sei nicht notwendig, die Verschreibung als einen Vertrag anzusehen, in dem die Verpflichtungen beider Teile Platz gefunden haben. Sie enthalte vielmehr nur die Verpflichtung des Malers, die des Teufels sei außerhalb ihres Textes geblieben, gleichsam „sousentendue“. Der Maler verpflichtet sich aber zu zweierlei, erstens zur Teufelssohnschaft durch neun Jahre und zweitens dazu, ihm nach dem Tode ganz anheimzufallen. Damit ist eine der Begründungen unseres Schlußes weggeräumt.

Die zweite Einwendung wird sagen, es sei nicht berechtigt auf den Ausdruck, des Teufels leibeigener Sohn zu sein, besonderes Gewicht zu legen. Das sei eine geläufige Redensart, die jeder so auffassen könne, wie die geistlichen Herren sie verstanden haben mögen. Diese übersetzen die in den Verschreibungen versprochene Sohnschaft nicht in ihr Latein, sondern sagen nur, daß der Maler sich dem Bösen „mancipavit“, zu eigen gegeben, es auf sich genommen habe, ein sündhaftes Leben zu führen und Gott und die heilige Dreieinigkeit zu verleugnen. Warum sollten wir uns von dieser naheliegenden und ungezwungenen Auffassung entfernen?[1] Der Sachverhalt wäre dann einfach der, daß sich jemand in der Qual und Ratlosigkeit einer melancholischen Depression dem Teufel verschreibt, dem er auch das stärkste therapeutische Können zutraut. Daß diese Verstimmung aus dem Tod des Vaters hervorging, komme nicht weiter in Betracht, es hätte auch ein anderer Anlaß sein können. Das klingt stark und vernünftig. Gegen die Psychoanalyse erhebt sich wieder der Vorwurf, daß sie einfache Verhältnisse in spitzfindiger Weise kompliziert, Geheimnisse und Probleme dort sieht, wo sie nicht existieren, und daß


  1. In der Tat werden wir später, wenn wir erwägen, wann und für wen diese Verschreibungen abgefaßt wurden, selbst einsehen, daß ihr Text unauffällig und allgemein verständlich lauten mußte. Es reicht uns aber hin, wenn er eine Zweideutigkeit bewahrt, an welche auch unsere Auslegung anknüpfen kann.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)