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Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34

Diese Verschreibungen bringen uns zwei starke Überraschungen. Erstens nennen sie nicht eine Verpflichtung des Teufels, für deren Einhaltung die ewige Seligkeit verpfändet wird, sondern nur eine Forderung des Teufels, die der Maler einhalten soll. Es berührt uns als ganz unlogisch, absurd, daß dieser Mensch seine Seele einsetzt nicht für etwas, was er vom Teufel bekommen, sondern was er dem Teufel leisten soll. Noch sonderbarer klingt die Verpflichtung des Malers.

Erste, mit schwarzer Tinte geschriebene „Syngrapha“:

Ich Christoph Haizmann vndterschreibe mich diesen
Herrn sein leibeigener Sohn auff 9 Jahr. 1669 Jahr.

Zweite, mit Blut geschrieben:

 Anno 1669
Christoph Haizmann. Ich verschreibe mich dißen
Satan, ich sein leibeigner Sohn zu sein, vnd in
9 Jahr ihm mein Leib und Seel zuzugeheren.

Alles Befremden entfällt aber, wenn wir den Text der Verschreibungen so zurechtrücken, daß in ihr als Forderung des Teufels dargestellt wird, was vielmehr seine Leistung, also Forderung des Malers ist. Dann bekäme der unverständliche Pakt einen geraden Sinn und könnte solcher Art ausgelegt werden: Der Teufel verpflichtet sich, dem Maler durch neun Jahre den verlorenen Vater zu ersetzen. Nach Ablauf dieser Zeit verfällt der Maler mit Leib und Seele dem Teufel, wie es bei diesen Händeln allgemein üblich war. Der Gedankengang des Malers, der seinen Pakt motiviert, scheint ja der folgende zu sein: Durch den Tod des Vaters hat er Stimmung und Arbeitsfähigkeit eingebüßt; wenn er nun einen Vaterersatz bekommt, hofft er das Verlorene wieder zu gewinnen.

Jemand, der durch den Tod seines Vaters melancholisch geworden ist, muß doch diesen Vater sehr lieb gehabt haben. Dann ist es aber sehr sonderbar, daß ein solcher Mensch auf die Idee kommen kann, den Teufel zum Ersatz für den geliebten Vater zu nehmen.


Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Eine Teufelsneurose im Siebzehnten Jahrhundert. In: Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Bd., H. 1, S. 1-34. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig und Wien 1923, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Imago_9-1.djvu/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)