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Wir sind eine Nation, wir wollen Ein Volk sein und das Land muß erhalten werden; eben wie das Leben eines Kranken gerettet werden muß, ob das Receptbuch genau paßt oder nicht. Die Constitution hat nicht das Volk erschaffen, das Volk hat die Constitution gemacht. Aber ist denn die Constitution verletzt worden? Die genaue Beantwortung, meine Landsleute, würde eine lange Discussion erfordern, die hier nicht Statt finden kann. Gesetzt aber, daß einige Dinge vorgefallen seien, die nicht genau nach den bestehenden Gesetzen gerechtfertigt werden können, so nehmt hier den Ausspruch eines Mannes, der dreist genug ist, zu sagen, daß er die Geschichte der Vergangenheit und der Gegenwart wohl eben so gut kennt, wie irgend ein Chicago Herr. Ich sage es wohl überdacht, daß nie ein Bürgerkrieg stattgefunden hat, ja nie auch nur ein gewöhnlicher Krieg, in welchem die Regierung den tausendsten Theil von Freiheit erlaubt hat, den die Feinde der Regierung und Freunde des Feindes bei uns genießen, und den wir genießen würden, wenn unsere Opponenten die Zügel der Regierung in der Hand hätten.

Es ist die sogenannte demokratische Partei, die diesen Bürgerkrieg hervorgebracht hat, und nun sagt sie, sie allein könne ihn beendigen. Warum? Wohnt eine mysteriöse Gewalt oder Kenntniß in einem Manne, sobald er sich „Demokrat“ in Amerika nennt? Sie wollen Frieden schließen, den Rebellen alles aufgeben; sie wollen die Rebellen „wärmer als je bei der Hand nehmen,“ und ihnen „alle mögliche erhöhte Garantieen geben“ – kurz gesagt, sie gehören zu jenen Leuten im Norden, die unglücklicherweise immer die Lakaien des Südens gespielt haben – die glauben, daß es eine Ehre ist, die Befehle eines arroganten Sclavenbesitzers zu erfüllen. Ist das demokratisch?

Freunde, laßt uns für Lincoln stimmen. Manche von Euch glauben ohne Zweifel, daß er einiges gethan hat, was Ihr mißbilligt; daß er zuweilen nicht rasch genug gehandelt hat; aber die einfache Frage vor dem Volke ist, soll Lincoln oder McClellan unser Präsident sein? Ihr müßt zwischen diesen Beiden wählen. Kein anderer kann erwählt werden; und welcher Deutsche soll da zweifelhaft sein, oder welcher Deutsche könnte da gleichgültig sich des Stimmens enthalten. Jener ist national, dieser ist es nicht. Jener ist für Freiheit und für die Abschaffung des Schandfleckens dieses Jahrhunderts, – er ist gegen die Sklaverei, die dieses Unheil des Bürgerkriegs hervorgebracht hat; Dieser ist für Sklaverei; Jener ist offen und aufrichtig; ist es Dieser? Jener ist für alle Bürger dieses großen Landes, ob sie hier geboren sind oder nicht; Dieser ist großentheils durch Knownothings ernannt. Jener ist ein wahrer Demokrat, ein Mann des Volkes; Dieser ist keiner, wenigstens ist der Haufe, der ihn ernannt hat, alles eher, als demokratisch gesinnt. Jener hat in unerhörten Schwierigkeiten das Schiff wenigstens so gelenkt, daß wir dem Hafen nahe sind; Dieser, an der Spitze eines der größten Heere dieses Zeitalters, that nichts als zaudern, als er, wie der Feind jetzt zugesteht, dem Kriege hätte ein Ende machen können.

Es läßt sich verstehen, warum einige sehr reiche und einige sehr arme Deutsche, die Anstellungen wünschen, sich für General McClellan bemühen; aber von jedem, der nichts der Art erwartet und aufrichtig für die Ehre, Einheit und Freiheit des Vaterlandes stimmen will, und der sich nicht durch den Namen Demokrat täuschen läßt, muß man erwarten, daß er für Lincoln stimmen werde, wenn er ruhig die große Lage der Dinge und die Charaktere der beiden Männer überlegt.


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Franz Lieber: Lincoln oder McClellan?. [s. n.], New York [1864], Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Franz_Lieber-Lincoln_oder_McClellan.djvu/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)