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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Sie nicht,“ murmelte sie. „In den Süden?“ Sie stützte den schmerzenden Kopf in die Hand und versuchte zu denken. Wie eine Woge um die andre brauste es ihr in den Ohren und klang wie von ferne an ihr Bewußtsein: in den Süden! „Mein Gott, womit denn?“ sagte sie hilflos wie ein kleines Kind ...

Die Genesung Robert Bergers schritt stetig vor. Stundenlang lag er ruhig auf dem Bett mit einem seltsamen Lächeln auf den eingefallenen Zügen. Die schrecklichen Bilder jenes Sonntags stiegen nur schattenhaft vor seine noch halb schlummernde Seele, zwei Dinge aber waren ihm klar, gewiß und deutlich: der alte Krimpe hatte ihn lieb, und Ernst Philippi wollte wirklich Pastor werden. Mit einem fast zärtlichen Ausdruck folgte er den Bewegungen seines Freundes, ja er begann auch wieder Claire zu necken. Nie aber wäre es so gut vorwärtsgegangen, wenn es Isa nicht gelungen wäre, ihre heimlichen Sorgen vor ihm zu verbergen.

Das Auge des erfahrenen Arztes jedoch ließ sich nicht täuschen. Besorgt sagte er einmal zu Ernst Philippi: „Die Frau Pastorin gefällt mir gar nicht, ich meine, sie macht sich pekuniäre Sorgen. Ihre sensitive Natur ist durch die letzten Wochen aufs äußerste überspannt worden. Ich will mit dem Pastor reden.“ Er schloß die Tür des Krankenzimmers hinter sich, und Ernst Philippi und Claire traten zu Frau Berger.

„Verehrte liebe Frau Pastorin,“ begann Ernst Philippi weich, „warum grämen Sie sich jetzt? Bin ich nicht Ihr Freund?

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)