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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Feuer und Schwert sengend und plündernd das Land durchzieht, das hat doch einmal klar seine nationale Unfähigkeit dokumentiert. Diese Mörderbande! Sehen Sie, Herr Kandidat, die Proklama­tion hier wurde dem Pastor von Birkenhof zugeschickt: ,Aus den Arbeiterliedern, herausgegeben von der lettisch sozialdemokratischen Partei!“ Mit dröhnender Stimme las er: „Dein Ende ist da, du groschenlüsterner Gutsbesitzer! Mit Feuer und Schwert hast du unser Land beraubt, siebenhundert Jahre lang hast du uns unsäglich gequält, den Schweiß unserer Väter hast du mit Blut gemischt getrunken und das Volk ausgehungert, bis es verreckte. Unsre Väter zeigen aus ihren Gräbern mit blutigen Fingern auf dich. Erst heute aber können wir rufen: Weh dir Deutschen! Wir wollen das Brot unsers Landes, die Früchte unsrer Arbeit nicht länger Schmarotzern geben. Und du, schwarzer Lügenbrauer, den wir in unsrer Einfalt für einen Gottesmann gehalten haben, du bist kein gerechter Gottesknecht, sondern lüstern nach dem Geld in der Hand der Reichen und lehrst mit unerhörter Schamlosigkeit das Evangelium, das die Reichen schon vor Jahrhunderten zur Bedrückung der Armen erdacht haben. Mit deinen saubern Lügen von den Himmelsfreuden, die uns für alles irdische Leid entschädigen sollen, hast du unsre Väter wie Schafe zu den Füßen der Räuber gehütet. Weh dir, Bösewicht! Flieht eilends, ihr verfluchten Volksaussauger! Zur Befreiung der gequälten Heimat sind die Werkzeuge schon unterwegs: Dolche, Kugeln, Bomben, Dynamit!“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/73&oldid=- (Version vom 31.7.2018)