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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Wer bist du und was willst du?“

„Darthe Semmit heiß’ ich und muß das gnädige Fräulein Baroneß sprechen.“

„Du mußt, ei, ei!“ sagte die Alte tadelnd und wiegte ihren weißen Kopf mit dem winzigen aufgesteckten gelblich-weißen Haarknötchen. „Die alte Höflichkeit ist schon lange aus der Mode, wie mir scheint. Vor vierzig Jahren noch, als ich jung war und hübsch wie du, da sagte man: Darf ich das gnädige Fräulein Baroneß sprechen? So sagte man damals, mein liebes Kind.“

Ein spöttisches Lächeln flog über Darthes Züge. Sie blieb stumm.

„Ist’s denn gar so eilig?“ fragte die Alte wieder. Ein lauernder Blick, scharf wie Essig, flog über die Hornbrille zu Darthe.

„Es ist eilig!“ sagte Darthe mit Nachdruck.

Zornig ließ die Alte einen eisernen Topfdeckel auf den Herd klirren, wischte sich die Hände in einem groben Handtuch rein, strich sich das glatte Haar noch glatter und zupfte ihre Schürze zurecht.

„Nun, so komm!“ sagte sie verdrossen. „Leg zuvor dein nasses Tuch ab.“

Sie führte Darthe durch einen schmalen Gang, durch ein geräumiges einfaches Speisezimmer in eine kleine freundliche Stube. Weiße Mullgardinen hingen vor den Fenstern. Das Zimmer stand voller Rohrmöbel und hatte nur zwei gepolsterte Stühle. In der Ecke ein kleiner Schreibtisch, an den Wänden altmodische Familienbilder.

 

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/251&oldid=- (Version vom 1.8.2018)