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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Meinen Glückwunsch!“ sagte er laut und hämisch.

Dann schritt er breitspurig an ihnen vorüber.

„Eine Polka!“ schrillte laut die trockene Stimme des Zehse-Wirts.

Das verstimmte Quintett setzte mit einer scharfen Dissonanz ein. Ein paar Polkatakte folgten.

„Ruhe!“ brüllte der Dumpje-Wirt. Er war auf eine Bank gestiegen.

„Still, still, der Dumpje-Wirt will reden!“

Alles drängte und schob sich näher an die Bank heran.

     „Genossen und Brüder!

Es ist jetzt nicht die Zeit, sich mit Verlobungen und Heiraten zu befassen. Das mögen wir den Nichtstuern und ,Herrendienern’ überlassen. Brüder und Genossen – unsere Zeit ist eine große Zeit, eine gute Zeit! Lange genug hat unser Bruder, der lettische Bauer, dem von Rechts wegen das lettische Land gehört, seinen gekrümmten Rücken noch tiefer gebückt und dem großen Herrn Baron mit demütigem Grinsen die gnädige Hand geküßt, hat ihm Frondienste geleistet, für ihn gesät und geerntet und gedarbt – der Tag der Umkehr, der Tag der Rache ist nicht mehr fern. Keine Herren soll es mehr geben, weder hohe noch niedrige. Wir sind unsere eigene Herren! Oder wollt ihr euch noch ferner vor dem blutsaugerischen Leuteschinder, dem Baron, oder vor dem heuchlerischen Pfarrer bücken? Haben die Schwarzen nicht lange genug unsere Rubelchen gestohlen, unsere Hühnerchen gegessen? Wir aber haben gehungert und gedarbt!“ – –

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/240&oldid=- (Version vom 1.8.2018)