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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Der Priester rührte sich nicht. „Wissen Sie, Stepan Nikolaitsch, wer es ist, der unsere rechtgläubige Kirche hemmt und hindert? Die Letten und Littauer und Esten, die beginnen sich unserem heiligen Glauben zuzuwenden, – wer uns aber in unserer Bekehrungsarbeit aufhält – das sind diese deutschen Barone und deutschen Pastoren, und darum müssen sie uns die Bahn freigeben: wir oder sie! ... Wir oder sie!“ wiederholte Vater Nikiphor mit gerunzelten Brauen und schritt mit gewaltigen Tritten ins Städtchen hinein. „Wir oder sie!“

Und wieder formten sich diese kurz hervorgestoßenen drei Worte in der Seele des Volksschullehrers zu einer neuen Bedeutung um. Ich oder du – klang es mit schreckhafter Deutlichkeit in ihm wieder ... ich oder du ... und eine angstvolle Gewißheit legte sich ihm lähmend auf die Seele: Du – – du! Wie könnte es anders sein? Er seufzte tief und wehrlos fragte er: „Was ist dabei zu machen?“

Sie waren über den verödeten Marktplatz getreten. Die Fensterläden der hebräischen Handlungen hatten sich wieder geöffnet, hier und da hastete unter einem mächtigem Regenschirm ein eiliger Fleckenbewohner vorüber, wie ein triefender wandelnder Pilz. In der langen Straße wurden hastig in einem niedrigen gelbgestrichen Hause die Fensterläden aufgestoßen. Zwei Mädchenköpfe, ein blonder und ein brauner, beugten sich heraus.

„Da geht die russische Geistlichkeit – in einer Pferdedecke,

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)