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Walther Kabel: Fürsten als Ehestifter. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 11, S. 203–206

Fürsten als Ehestifter. – Die jungverheirateten Frauen, denen ja eine besondere Leidenschaft, Ehen zu stiften, nachgesagt wird, mögen sich trösten: auch unter dem stärkeren Geschlecht hat es zu allen Zeiten Leute gegeben, die oft eine geradezu krankhafte Sucht besaßen, Männlein und Weiblein zur Schließung eines Ehebundes zu bewegen. Berühmt geworden sind in dieser Beziehung einige Herrscher, deren Ehevermittlungsmanie auf die verschiedensten Ursachen zurückzuführen ist.

Kaiser Nero, so berichtet ein römischer Schriftsteller, kannte keine größere Freude, als möglichst ungleiche Paare zusammenzubringen. Einmal war ein vornehmer, äußerlich sehr wohlgestalteter Mann dazu verurteilt worden, den wilden Tieren in der Arena vorgeworfen zu werden. Auf einer Rundfahrt durch Rom traf Nero nun eine Bettlerin von geradezu abschreckender Häßlichkeit, der neben der Nase auch noch beide Arme fehlten. In der tückischen Seele des Kaisers zuckte bei dem Anblick dieser mißgestalteten Frau ein Gedanke auf. Er ließ dem Verurteilten Begnadigung zusichern, falls er die Bettlerin ehelichen würde. Der dem grausamsten Tode Geweihte, froh sein Leben auf diese Weise retten zu können, sagte zu. Die Hochzeit des ungleichen Paares richtete Nero selbst aus, und nie soll er so guter Laune gewesen sein als an dieser Hochzeitstafel, bei der ihm die beiden so völlig ungleichen Menschen gegenübersaßen. „Der Kaiser,“ so schreibt jener zeitgenössische Schriftsteller, „wurde immer wieder von einem derartigen Lachen geschüttelt, daß er des öfteren seinen Becher Wein über den Tisch ausgoß. Und die Schar der Höflinge, die ebenso niedrig dachten wie ihr gefürchteter Herr, lachten noch toller.“

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Walther Kabel: Fürsten als Ehestifter. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 11, S. 203–206. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:F%C3%BCrsten_als_Ehestifter.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)