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Elektromagnetische Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger, die des Lichtes nicht erreichender Geschwindigkeit bewegt.
Von H. A. Lorentz.[1]


1. Wenn man durch theoretische Betrachtungen den Einfluß zu bestimmen versucht, den eine Translation, wie sie z. B. alle Systeme durch die jährliche Erdbewegung erfahren, auf elektrische und optische Erscheinungen ausüben könnte, so gelangt man in verhältnismäßig einfacher Weise zum Ziel, solange nur solche Größen betrachtet zu werden brauchen, die proportional der ersten Potenz des Verhältnisses der Translationsgeschwindigkeit zur Lichtgeschwindigkeit sind. Fälle, in denen Größen von zweiter Ordnung, also von der Ordnung , wahrnehmbar sein könnten, bieten mehr Schwierigkeiten. Das erste Beispiel dieser Art ist Michelsons wohlbekannter Interferenzversuch, dessen negatives Ergebnis Fitzgerald und mich zu dem Schlusse führte, daß die Dimensionen fester Körper sich infolge ihrer Bewegung durch den Äther ein wenig ändern.

Einige weitere Versuche, in denen eine Wirkung zweiter Ordnung gesucht wurde, sind kürzlich veröffentlicht worden. Einmal haben Rayleigh[2] und Brace[3] untersucht, ob die Erdbewegung einen Körper doppelbrechend macht; man könnte dies zunächst erwarten, wenn man die eben erwähnte Veränderung der Dimensionen annimmt. Beide Physiker kommen jedoch zu einem negativen Ergebnis.

Dann haben sich Trouton und Noble[4] bemüht, ein Drehmoment zu entdecken, das auf einen geladenen Kondensator wirkt, dessen Platten einen Winkel mit der Translationsrichtung bilden. Die Elektronentheorie fordert unzweifelhaft die Existenz eines solchen Drehmoments, wenn man sie nicht durch eine neue Hypothese verändert. Um das einzusehen, genügt es, einen


  1. Deutsche Übersetzung der in englischer Sprache erschienenen Abhandlung: Electromagnetic phenomena in a system moving with any velocity smaller than that of light. (Proceedings Acad. Sc. Amsterdam 6 (1904) S. 809.)
  2. Rayleigh, Phil. Mag. (6) 4 (1902) S. 678.
  3. Brace, Phil. Mag. (6) 7 (1904) S. 317.
  4. Trouton und Noble, London R. Soc. Trans. A 202 (1903) S. 165.