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Jonathan Swift übersetzt von Franz Kottenkamp: Ein sonderbarer Traum

jedoch, so galt es als Schande, sie zu heirathen, und Jedermann durfte sie alsdann bei einem üblen Namen nennen. Mich däuchte, es sei ein eben so gewöhnlicher Zeitvertreib, die Kirchspiellöwen zu sehen, gewesen, als wie wir in ein Schauspiel oder in eine Oper gehen. Der Platz der Löwenhöhle wurde immer ganz zweckmäßig in der Nähe einer Kirche gewählt, entweder die Jungfrau zu verheirathen, wenn die Probe von ihr überstanden war, oder um ihre Knochen auf dem Kirchhofe zu begraben, wenn der Löwe das Fleisch, wie er es gewöhnlich zu thun pflegte, von denselben abgefressen hatte.

Damit ich jedoch mit dem Traume fortfahre: Zuerst, wie ich mich erinnere, gingen wir in das Kirchspiel St. Dunstan, den Löwen zu sehen; es hieß jedoch, derselbe werde heute nicht gezeigt. Von dort gingen wir zum Löwen von Coventgarden, und fanden denselben zu meinem großen Erstaunen zum Skelett abgemagert, obgleich ich durchaus das Gegentheil erwartete; der Wärter sagte mir, es sei kein Wunder, denn das arme Vieh habe kein Loth Weiberfleisch bekommen, seitdem er sich im Kirchspiel befinde. Hierüber erstaunte ich noch mehr, wie über das Frühere, und empfand schon eine große Verehrung zu den Damen in diesem Stadtviertel, als der Wärter in seinem Berichte fortfuhr, und seine Verwunderung aussprach, weßhalb das Kirchspiel für Nichts und wieder Nichts einen Löwen unterhalte. Freund, sagte ich, haltet Ihr es für keinen genügenden Grund, daß man etwas dafür thut, die Tugend von so vielen Damen zu rechtfertigen? oder hat Euer Löwe seine Fähigkeit, zu unterscheiden, verloren? kann irgend etwas Eurem Kirchspiel zu größerer Ehre, wie der Umstand, gereichen,

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Jonathan Swift übersetzt von Franz Kottenkamp: Ein sonderbarer Traum. Scheible, Rieger & Sattler, Stuttgart 1844, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_sonderbarer_Traum-Swift-1844.djvu/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)