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Walther Kabel: Ein berühmter Spionagefall. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 203–208

Die englische Admiralität sah sich so um die Früchte ihres mühseligen Experiments vollkommen betrogen.

Eine scharfe Untersuchung wurde eingeleitet, um den Verräter, den man nur unter den Beamten der Admiralität suchen zu müssen glaubte, herauszufinden. Alles umsonst. Es schien für alle Zeiten unaufgeklärt bleiben zu sollen, auf welche Weise Frankreich, das inzwischen die der „Gloire“ völlig ähnlichen Panzerfregatten „Magenta“ und „Solferino“ auf Stapel gelegt und bei ihrer Konstruktion die von den Engländern mit so großen Geldopfern erkauften Erfahrungen über Stärke, Befestigung und Größe der Panzerung benützt hatte, in den Besitz der wertvollen Geheimnisse gelangt war.

Und doch brachte die Zähigkeit eines englischen Polizeibeamten, des Inspektors Burnell, die Wahrheit an den Tag, allerdings erst ein ganzes Jahr später. Burnell, der zusammen mit zwei Kollegen die Ermittlungen in der mysteriösen Angelegenheit geleitet hatte, war nämlich jene französische Vergnügungsjacht „L’Esperance“, die in so auffälliger Weise in der Nähe des „Triton“ gekreuzt hatte, weit verdächtiger vorgekommen als den englischen Marineoffizieren. Er begann, nachdem der Fall in England selbst nicht aufgeklärt werden konnte, mit vorsichtigen Nachforschungen zunächst in Rouen, wo die „L’Esperance“ beheimatet gewesen sein sollte. Hier erfuhr er zweierlei: erstens, daß die „L’Esperance“ wirklich einem reichen Kaufmann namens Charlatier gehörte, und zweitens, daß dieser Charlatier einen Sohn besaß, der als Marineoffizier im Frühjahr 1858 wegen tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten degradiert und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, dann aber im November desselben Jahres mit einem Male ohne jeden ersichtlichen Grund begnadigt und sogar zum Kapitän befördert worden war. Nach diesen Feststellungen machte der Beamte sich an einen früheren Matrosen der „L’Esperance“ heran. Durch Bestechung wußte er diesen zum Reden zu bringen und bekam so heraus, daß Charlatier im September 1858 urplötzlich die ganze Besatzung seiner Jacht entlassen und dafür eine neue Mannschaft, die aus altgedienten Unteroffizieren der französischen Kriegsmarine bestand, an Bord genommen hätte.

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Walther Kabel: Ein berühmter Spionagefall. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 203–208. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_ber%C3%BChmter_Spionagefall.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)