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Walther Kabel: Ein Minister, der sein eigenes Todesurteil unterzeichnete (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

Ein Minister, der sein eigenes Todesurteil unterzeichnete, war Kardinal La Balue, der zur Zeit der Regierung Ludwigs XI. von Frankreich lebte. Ludwig XI., ein ebenso herrschsüchtiger wie tückischer und feiger Charakter, hatte erfahren, daß La Balue, ein sonst äußerst befähigter Staatsmann, die meisten der ihm vorgelegten Schriftstücke unterzeichnete, ohne sie vorher auf ihren Inhalt zu prüfen. Diese Oberflächlichkeit benützte der hinterlistige und grausame Monarch dazu, um den des Verrats beschuldigten La Balue, auf dessen Beliebtheit er längst eifersüchtig war, zu stürzen. Er veranlaßte den Sekretär des Ministers, seinem Herrn unter einer Menge gleichgültiger Erlasse auch ein Schriftstück vorzulegen, in dem La Balue sein Einverständnis mit den Feinden des Königs eingestand, und das mit einem Satze endete, der folgendermaßen lautete: „Hiernach erkenne ich selbst an, daß ich ein schändlicher Verräter bin und als solcher die über mich verhängte Todesstrafe nur als gerechte Sühne ansehen kann.“

Dieses Schreiben unterzeichnete der ahnungslose Minister wie so viele andere ungelesen, und er wäre wohl auch sicher geköpft worden, wenn König Ludwig XI. nicht einen Volksaufstand gefürchtet hätte. Auf Anraten seines Barbiers, den er zu seinem Vertrauten erwählt hatte, um sich von den Großen seines Reiches unabhängig zu machen, verhängte

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Walther Kabel: Ein Minister, der sein eigenes Todesurteil unterzeichnete (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1910, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Minister,_der_sein_eigenes_Todesurteil_unterzeichnete.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)