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Bauern lernen, das neue Leben aufzubauen, werden lernen, ohne die Kapitalisten auszukommen; nur so werden sie sich den Weg, durch tausend Hindernisse hindurch, zum siegreichen Sozialismus bahnen.

Fehler begehen in ihrer revolutionären Arbeit unsere Bauern, die mit einem Schlag in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober (nach dem russischen Kalender) 1917 jedes Privateigentumsrecht an Grund und Boden abgeschafft haben und jetzt von Monat zu Monat die unermesslichsten Schwierigkeiten zu überwinden haben, sich selbst korrigieren und praktisch die schwierigste Aufgabe der Organisation der neuen Wirtschaftsordnung lösen müssen, die Dorfwucherer zu bekämpfen, den Werktätigen (und nicht den Spekulanten) den Boden zu sichern und zum kommunistischen Grossbetrieb der Landwirtschaft überzugehen.

Fehler begehen in ihrem revolutionären Schaffen unsere Arbeiter, die gegenwärtig, in wenigen Monaten, fast alle grössten Fabriken und Werke verstaatlicht haben und durch schwere Mühe, tagein tagaus die Arbeit der Verwaltung ganzer Industriezweige lernen, die verstaatlichten Betriebe instand setzen, den ungeheuerlichen Widerstand der Trägheit, der Kleinbürgerlichkeit und des Egoismus überwinden, Stein auf Stein am Fundament der neuen gesellschaftlichen Gemeinschaft bauen, der neuen Arbeitsdisziplin und der neuen Herrschaft der Gewerkschaften der Arbeiter über deren Mitglieder.

Fehler begehen in ihrem revolutionären Schaffen unsere Sowjets, die schon 1905 durch den machtvollen Aufschwung der Massen geschaffen worden sind. Die Arbeiter- und Bauernsowjets bilden einen neuen Typus des Staates, eine neue höchste Art der Demokratie, eine besondere Form der Diktatur des Proletariats, einen Modus, den Staat ohne die Bourgeoisie und gegen die Bourgeoisie zu verwalten. Zum erstenmal stellt sich hier die Demokratie in den Dienst der Massen, der Werktätigen, und hört auf, eine Demokratie für die Reichen zu sein, wie es letzten Endes die Demokratie in allen bürgerlichen, ja demokratischen Republiken ist. Zum erstenmal vollführen die Volksmassen im Riesenmassstab von vielen hundert Millionen Menschen die Aufgabe, die Diktatur der Proletarier und der Halbproletarier zu verwirklichen –, eine Aufgabe, ohne deren Lösung von Sozialismus nicht die Rede sein kann.

Mögen die Pedanten oder unheilbaren Subjekte, die mit bürgerlich-demokratischen oder parlamentarischen Vorurteilen vollgepfropft sind, über unsere Sowjets voller Bedenken den Kopf schütteln und sich zum Beispiel dabei aufhalten, dass wir keine direkten Wahlen haben. Diese Menschen haben während der grossen Umwälzungen von 1914 bis 1918 nichts vergessen und nichts hinzugelernt. Die Verbindung der Diktatur des Proletariats mit der neuen Demokratie für die Werktätigen – des Bürgerkrieges mit der breitesten Heranziehung der Massen zur Politik –, eine solche Verbindung macht sich nicht von heute auf morgen und lässt sich nicht in die abgedroschenen Formen des schablonenhaften palamentarischen Demokratismus hineinzwängen. In Gestalt der Sowjetrepublik erhebt sich vor uns die neue Welt, die Welt des Sozialismus. Kein Wunder, dass diese Welt nicht fix und fertig zutage tritt, nicht auf einmal entsteht, wie Minerva dem Kopfe Jupiters entstiegen ist.

Während die alten bürgerlich-demokratischen Konstitutionen zum Beispiel formale Gleichheit und Versammlungsrecht verkündeten, lehnt die Verfassung der Sowjetrepublik die Heuchelei der formalen Gleichberechtigung aller ab. Als die bürgerlichen Republikaner Throne stürzten, hielt man an der formalen Gleichberechtigung der Monarchisten mit den Republikanern auch nicht fest. Da es sich nun um den Sturz der Bourgeoisie handelt, so können nur Verräter oder Tölpel auf der formalen Gleichberechtigung der Bourgeoisie beharren. Nicht einen Pfifferling wert ist die „Versammlungsfreiheit“ der Arbeiter und Hauern, wenn alle besseren Lokale von der Bourgeoisie besetzt sind. Unsere Sowjets nahmen den Reichen alle brauchbaren Bauten in den Städten wie in den Dörfern ab und stellten sie den Arbeitern und Bauern zu Versammlungs- und Vereinszwecken zur Verfügung. So sieht unsere Versammlungsfreiheit – für die Werktätigen aus! – Darin besteht der Sinn und der Inhalt unserer Sowjetverfassung, unserer sozialistischen Konstitution!

Und deshalb sind wir alle tief davon überzeugt, dass die Sowjetrepublik, welches Unheil ihr auch noch beschert sein sollte, unüberwindbar ist.

Sie ist unbesiegbar, denn jeder Schlag von seiten des rasenden Imperialismus, jede neue Niederlage, die wir durch die internationale Bourgeoisie erfahren, neue und immer wieder neue Schichten der Arbeiter und Bauern zum Kampfe erhebt, sie um den Preis