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Autoren, die sich bis vor kurzem zur Relativ-Starrheitsfrage äußerten, ohne weiteres akzeptiert wurde, und zwar unabhängig davon, welchen Standpunkt die betreffenden Autoren sonst zum Starrheitsproblem einnehmen. Der Übersichtlichkeit halber seien hierhergehörige Äußerungen in chronologischer Reihenfolge kurz resümiert:

M. Born[1] gibt obiges Resultat zu und entschließt sich dementsprechend zu folgenden Annahmen: 1. Die Elektronen genügen wirklich der Starrheitsforderung, rotieren aber nicht. Die Elektronentheorie erfordere nirgendwo unbedingt die Annahme rotierender Elektronen. 2. Die makroskopischen „starren“ Körper sind Molekülaggregate, also elastisch deformierbar, genügen der Starrheitsforderung nicht und können rotieren.

M. Planck:[2] 1. Die makroskopischen „starren“ Körper sind als elastisch anzusehen und die Theorie ihrer Bewegung muß durch Aufstellung des kinetischen Potentials der elastischen Deformationen begründet werden. „Der Versuch, die für die gewöhnliche Mechanik so wichtige Abstraktion der starren Körper auch für die Relativitätstheorie fruchtbar zu machen, scheint mir keinen rechten Erfolg zu versprechen.“ 2. Was die Festhaltung der Starrheitsforderung für das einzelne Elektron betrifft, so entziehe es sich vorläufig jeder Prüfung, „ob man damit physikalisch weiterkommt, als mit den allgemeinen Grundsätzen der Relativitätstheorie“.

M. Abraham:[3]: „Der von M. Born ..... unternommene Versuch, die Einsteinsche Definition der Länge ..... zu verallgemeinern, muß als gescheitert gelten, nachdem Ehrenfest, Herglotz, Noether und Levi-Civita dargetan haben, daß der zugrunde gelegte Starrheitsbegriff auf Rotationsbewegungen nicht anwendbar ist.“

M. Born[4] hält, in einer späteren Arbeit, gegen Planck daran fest, daß die Ausdehnung des Starrheitsbegriffes auf die Relativitätstheorie notwendig sei und entwickelt — indem er seine ursprüngliche Starrheitsdefinition als zu eng zurückstellt — eine neue Starrheitsdefinition. Dabei nimmt er in den Kauf, daß jeder starre Körper mit einem — bezüglich der Starrheitsdefinition — ein für allemal ausgezeichneten Punkt behaftet gedacht werden muß.[5] Und auch so ließen sich noch weitaus nicht ganz die Schwierigkeiten des Rotationsproblems überwinden: Wie Herr Born zeigt, findet hier die stationäre (!) Rotation um eine feste Achse derart statt, daß der ruhende Beobachter die mehraxialen Schichten mit größerer Winkelgeschwindigkeit rundlaufen sieht als die peripheren Schichten, so daß also der „starre“ Körper sich von der Achse her immer mehr zerrührt.[6]

§ 2. Nun nimmt — in einer kürzlich erschienenen Publikation[7] — auch Herr v. Ignatowsky Stellung zum Problem der Rotation relativ starrer Körper. Seinen Standpunkt kennzeichnet vor allem folgende Äußerung (§ 5, Ende):

„Betrachten wir wieder den Zylinder des § 3, und zwar den Übergang von Ruhe zu gleichförmiger Rotation. Unter der Wirkung der äußeren Kräfte wird er sich in Bewegung setzen, aber immer unter Einhaltung der Bedingung (20) § 2. Die Wirkung dieser Kräfte wird sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit fortpflanzen, so daß die Winkelgeschwindigkeit für einen bestimmten Moment für alle Winkel nicht dieselbe ist. Zugleich wird er sich scheinbar kompromieren, bis nach einiger Zeit seine Bewegung in eine gleichförmige Bewegung übergeht.“

Geht Herr v. Ignatowsky, um zu dieser Behauptung zu gelangen, vielleicht von einer Starrheitsdefinition aus, die von der (ursprünglichen) Bornschen abweicht?

Nein! Seine Ausgangsgl. (6)

(6)

ist identisch mit der (ursprünglichen) Bornschen Forderung, und seine Gleichung

(7)

geht aus ihr durch totale Differentiation hervor. Die aus (7) durch Umformung abgeleitete Gl. (13) ist der zeitliche Differentialquotient derjenigen Form der Bornschen Starrheitsgleichung, mit der ich und Herglotz operierten, und endlich die oben erwähnte Gl. (20) ist die weitere Umformung der Gl. (7) und (13) von der Lagrangeschen auf die Eulersche Form nach dem Vorgang von Noether.

Damit ist dann auch in bester Übereinstimmung die folgende Aussage, die Herr v. Ignatowsky am Ende von § 3 über den stationär rotierenden Zylinder macht:

„Nun betrachten wir einen Kreiszylinder, der mit einer konstanten Winkelgeschwindigkeit um eine ruhende Achse rotiert. Es ist leicht nachzuweisen, daß in diesem Fall Gl. (20) identisch erfüllt ist.“

In der Tat: daß die Bornsche Starrheitsdefinition die stationäre Rotation zuläßt, ist


  1. M. Born, diese Zeitschr. 11, 233, 1910.
  2. M. Planck, diese Zeitschr. 11, 294, 1910.
  3. M. Abraham, diese Zeitschr. 11, 527, 1910.
  4. Gött. Nachr. 1910, 28. Mai.
  5. l. c, § 3, M. Born nennt diesen Punkt „Zentrum“.
  6. l. c., § 5, M. Born merkt deshalb auch an: „Danach wäre die Erdkugel schwerlich ein in diesem Sinne ‚starrer‘ Körper“.
  7. Ann. d. Phys. 33, 607, 1910.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Ehrenfest: Zu Herrn v. Ignatowskys Behandlung der Bornschen Starrheitsdefinition. Physikalische Zeitschrift 11, S. 1127-1129, S. Hirzel, Leipzig 1911, Seite 1128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:EhrenfestStarr2.djvu/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)