Seite:Eduard Sievers - Grundzüge der Phonetik - 1901.djvu/95

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

193—196. Sonore und Geräuschlaute. 75


dass sie auch bei grösserer Weite der Ausflussöffnung noch schallbildend zu wirken vermag.

193. Beim gewöhnlichen Sprechen, weniger beim Singen, mögen wirklich derartige Nebengeräusche vielfach vorhanden sein, je nach der individuellen Fähigkeit oder Gewohnheit, den Einklang zwischen Exspiration und Hemmung mehr oder weniger vollkommen herzustellen. Sie werden aber meist durch die Stimme überdeckt und höchstens bei ganz geschärfter Aufmerksamkeit wahrgenommen; man vergleiche z. B. den Klang eines m, n, l oder nicht gerollten engl. r mit dem eines stimmhaften s (franz. engl. z) oder v u. dgl.

194. Im Allgemeinen können sich solche Nebengeräusche um so leichter bemerklich machen, je stärkere Engenbildung die Articulationsstellung eines Lautes aufweist. Aber auch in diesem Falle heben sich die Geräusche erst dann als etwas bestimmt Gesondertes von der Stimme ab, wenn die Stärke der Exspiration sehr bedeutend die der Kehlkopfarticulation übersteigt. So bedarf es z. B. schon einer erheblichen Steigerung des Luftdrucks, um ohne Veränderung der Kehlkopfarticulation und der Mundstellung ein sonores i in den Reibelaut j, oder ein sonores l in ein spirantisches l überzuführen. Bei Sonorlauten von grösserer Oeffnung, wie beispielsweise dem Vocal a, gelingt es gar nicht, diesergestalt ein Geräusch zu erzeugen. Viel leichter stellt sich Geräuschbildung bei Verengerung der Ausflussöffnung ein; aber auch dies ist wieder nur möglich bei Lauten, die an sich schon eine verhältnissmässig geringe Oeffnung besitzen, wie etwa das i oder stark gerundetes (vgl. 272) oder l, r; beia und ähnlichen Lauten versagt aber auch dies Mittel, weil bei der Verkleinerung der a-Oeffnung zur Reibungsenge die specifische a-Stellung ganz verloren gehen würde.

195. Umgekehrt können auch stimmhafte Geräuschlaute (Reibelaute) durch Erweiterung ihrer Reibeenge oder Minderung der fortschreitenden Bewegung ihres tönenden Luftstroms in sonore Laute übergeführt werden. Man kann z. B., wie in 500 des Näheren ausgeführt ist, auch sonore Formen neben den spirantischen stimmhaften s (franz. engl. z), neugriech. δ, ‘weichem’ engl. th, franz. engl. v, deutschem (wie in nordd. tage, bogen) u. s. w. bilden.

196. Man könnte geneigt sein, auch die stimmhaften Verschlusslaute wie b, d, g hierher zu stellen, da bei ihnen während der Dauer der Verschlussstellung in der That ein reiner Stimmlaut gebildet wird (der sog. Blählaut, 357). Da wir aber Verschlussstellung und Explosion bei

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/95&oldid=- (Version vom 23.5.2022)