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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

70 180.181. Die Sprachlaute nach ihrer Stärke.


z. B. alle Laute einer dynamisch betonten Silbe (637 ff.) durchgehends stärker sind als die einer dynamisch unbetonten. Diese Unterschiede dienen also nicht zur Charakteristik der Sprachlaute an sich. Wohl aber treten in einigen Fällen auch Stärkeabstufungen auf, welche vom Accent durchaus unabhängig und demnach als integrirende Charakteristica der Sprachlaute zu betrachten sind. Prüft man z.B. mittelst des oben 61 beschriebenen kleinen Apparats den Luftdruck stimmloser und stimmhafter Parallellaute wie p und b, oder f und v (indem man Verbindungen wie paba, oder bapa, fava, vafa mit möglichst gleicher Stärke aller Silben spricht), so findet man, dass er bei allen stimmlosen grösser ist als bei den entsprechenden stimmhaften. Es thut nichts zur Sache, dass man ein leises p mit absolut geringerem Luftdruck aussprechen kann als ein lautes, nachdrücklich tönendes b: es. kommt nur darauf an, dass bei sonst gleicher Sprechstärke die erwähnte Abstufung vorhanden ist. In Beziehung auf das relative Mass des Luftdrucks bei der Erzeugung ihres Geräusches sind daher p und stimmhaftes b, f und stimmhaftes »o einander als Fortis und Lenis entgegenzustellen.

180. Zweierlei ist hierbei zu beobachten: einmal ist der geringere Luftdruck im Munde bei den stimmhaften b, v gegenüber p, f mindestens zum Theil nur die Folge der Hemmung des Exspirationsstroms, welche dieser im Kehlkopf durch das Einsetzen der Stimmbänder zum Tönen erfährt (s. 60), und zweitens liegt es auf der Hand, dass die geringere Stärke, mit welcher die specifischen Geräusche der b, v erzeugt werden, nicht nothwendig als der wesentlichste Unterschied dieser Laute von p, f betrachtet werden muss. Im Gegentheil, das Mittönen der Stimme bei b, v wird immer das am ersten in die Ohren fallende Merkmal sein. Aber alles dies stösst die Thatsache nicht um, dass die specifischen Schälle der b, v, soweit sie im Munde erzeugt werden, mit weniger starkem Druck (genauer Munddruck) gebildet werden als die von p, f, denn für diese Frage ist es völlig gleichgültig, ob der schwache Luftstrom direct als solcher aus den Lungen kommt, oder ob er erst unterwegs aus einem stärkeren abgeschwächt worden ist.

181. Ist also anzuerkennen, dass in Sprachen, welche solche Parallellaute wie p und b etc. durch Nichttönen und Tönen der Stimme unterscheiden, die geringere Stärke des b etc. nicht als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal aufgefasst zu werden braucht, so muss auf der anderen Seite doch auch wieder

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/90&oldid=- (Version vom 23.5.2022)