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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

145. Articulationsstellen. 146. 147. Die Lippenlaute. 57


zunächst eine Zweitheilung, in Lippenlaute oder Labiale, die nur vermittelst der Lippen unter gelegentlicher Zuhülfenahme der Zähne, und Zungengaumenlaute oder Linguopalatale, die vermittelst der Articulation irgend eines Zungentheils gegen irgend einen Theil des innern Mundraums, speciell des weichen oder harten Gaumens, eventuell auch der Zähne hervorgebracht werden. Als dritte Gruppe schliessen sich diesen die faucalen Laute an, die durch Articulation des weichen Gaumens gegen die hintere-Rachenwand erzeugt werden.

145. Es versteht sich übrigens aus der Unabhängigkeit der Lippen- und Zungenarticulationen von einander von selbst, dass beide auch gleichzeitig bei der Bildung eines Lautes mitwirken können. Das Weitere hierüber wird die Combinationslehre bringen.

An Einzelheiten ist folgendes zu bemerken:

1. Die Lippenlaute.

146. Die Lippenlaute zerfallen je nach der Nichtbetheiligung oder Betheiligung der Zähne an der Articulation in bilabiale (rein labiale, labiolabiale) und labiodentale. Zu den ersteren gehören unsere gewöhnlichen b, p, m und das mitteldeutsche w. Hier sind die beiden Lippen entweder bis zum völligen Verschluss zusammengebracht (wie bei b, p, m) oder einander bis auf einen kleinen Spalt genähert (wie beim w.). Die Labiodentalen entstehen dagegen durch leichtes Anpressen der Unterlippe an die Oberzähne; die Oberlippe bleibt zwar wesentlich in der Ruhelage, doch nimmt sie in den meisten Fällen ebenfalls an der Lautbildung Antheil.

147. Die Variationsfähigkeit der Labiale ist (abgesehen von ihren Modificationen durch gleichzeitige Zungenarticulationen) im Ganzen keine sehr grosse. Alles in dieser Richtung zu Beobachtende ergiebt sich leicht durch das 42 ff. über die verschiedenen Formen der Lippenarticulation Bemerkte.

2. Die Zungengaumenlaute.

148. Viel grössere Mannigfaltigkeit und damit erhöhte Schwierigkeiten für die Olassificirung bieten die Linguopalatale. Die articulirenden Theile sind hier die obere und hintere Innenfläche des Mundraums (das Munddach), speciell der Gaumen in seiner ganzen Ausdehnung, und die Zunge. Die letztere

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/77&oldid=- (Version vom 23.5.2022)