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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

140—141. Die Articulationsarten und -stellen des Ansatzrohrs. 55


Hauch (statt der Spirans), so entsteht das, was wir Aspirata nennen (s. 401. 434 ff.). Zu den Verschlusslauten gehören eben nur die sog. Tenues und Mediae nebst deren Aspiraten nach der landläufigen Terminologie; zu den Spiranten dagegen alle übrigen ‘Geräuschlaute’ (188), insbesondere auch die nur in Folge missverständlicher Namensübertragung so vielfach fälschlich als Aspiraten bezeichneten lat. deutschen f und ch, engl. th, oder ϕ, χ, θ der neugriechischen Aussprache.

140. Das indische System stellt die Nasale wegen ihrer Mundcanalverschlüsse zu den Verschlusslauten, und einige Neuere möchten sich dem anschliessen. Es ist in der That nicht unwichtig, auf diese Verschlüsse bei den Nasalen hinzuweisen: sie spielen bei der Combination der Laute eine wesentliche Rolle. Aber man darf nicht vergessen, dass doch der Nasencanal bei der Hervorbringung der Nasale geöffnet ist, und dass sie dadurch den Vocalen und Liquiden, überhaupt allen Lauten nahe stehen, die nicht mit völligem Verschluss aller Luftwege gebildet werden. Richtiger wird man die Nasale daher als Halbschlusslaute bezeichnen. Zu diesen stellt sich dann in gewissem Sinne auch die Liquida l, welche wie die Dentale t, d, n eine Absperrung des Mundcanals in der Mittellinie des Mundes aufweist (312).

Cap. 7. Die Articulationsstellen des Ansatzrohrs.

141. Eine grosse Anzahl von Sprachlauten entsteht, wie wir oben 89 ff. und öfter gesehen haben, dadurch, dass irgendwo im Ansatzrohr eine Enge oder ein Verschluss gebildet wird, welcher den exspirirten Luftstrom in Schallschwingungen versetzt. Den Ort dieser Engen- oder Verschlussbildung nennen wir die Articulationsstelle des betreffenden Lautes. Wir sagen also z. B., dass p, b, m (abgesehen von der eventuell begleitenden Stimme) ihre Articulationsstelle an den beiden Lippen, dass f die seinige zwischen Unterlippe und Oberzähnen habe, u. s. f.

Solche Articulationsstellen nun haben alle Sprachlaute, auch diejenigen, bei denen eine Geräuschbildung im Ansatzrohr nicht stattfindet; so theilt z. B. das geräuschfreie (stimmhafte) m den Lippenverschluss mit p, b, das ebenso gebildete l die Stellung der Vorderzunge mit t, d, n. Der Unterschied ist nur dieser, dass bei der einen Reihe von Sprachlauten die Articulationsstelle schallbildend auftritt, bei der andern dagegen nur die Gestalt des Resonanzraums und damit den Charakter der Resonanz bedingt.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/75&oldid=- (Version vom 23.5.2022)