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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

46 123. Aufstellung eines Sprachlautsystems.


4. Aufstellung eines Sprachlautsystems.

123. Mit der angedeuteten Reduction der Sprachlaute auf ein übersehbares Minimum von Typen sind indessen die Schwierigkeiten nicht erschöpft, welche sich der Aufstellung eines Sprachlautsystems hemmend in den Weg stellen, wenn man darunter eine Anordnung versteht, in der jedem Typus oder Sprachlaut ein für allemal seine feste Stelle angewiesen ist. Wenn, wie wir gesehen haben, jeder Sprachlaut das Product des Zusammenwirkens verschiedener Bildungsfactoren ist, welcher von diesen ist dann nothwendig der oberste und wesentlichste, und muss also für die Anordnung des Systems in erster Linie den Ausschlag geben? In welcher Reihenfolge müssen die andern beim Aufbau des Systems ihm untergeordnet werden? Und wenn eine Lautgruppe y durch einen gemeinsamen Bildungsfactor mit einer Gruppe x, durch einen zweiten mit einer Gruppe z zusammenhängt, nach welchen Gesichtspunkten ist da zu gruppiren, wenn einmal aus diesem oder jenem Grunde zwei von diesen drei Gruppen zu einer höheren Einheit verbunden werden sollen? Eine allgemein gültige Vorschrift für die Lösung dieser und ähnlicher Fragen, wie sie namentlich auch dem Sprachhistoriker auf Schritt und Tritt sich darbieten, lässt sich nicht geben, weil man die einzelnen Laute häufig von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten kann und muss, und sich die Werthverhältnisse der einzelnen Bildungsfactoren mit diesem Wechsel des Gesichtspunktes verschieben. Versuchen wir z. B. zur Veranschaulichung des Gesagten die Lautgruppe amba zu analysiren. Der Vocal a ist reiner Stimmlaut, d.h. Stimme modificirt durch die Resonanz der Mundhöhle. Eine Geräuschbildung im Ansatzrohr findet nicht statt. Isoliren wir das folgende m, so ist auch dieses ein reiner Stimmlaut, ebenfalls ohne Geräuschbildung im Ansatzrohr, also dem a nahe verwandt, von ihm nur geschieden, aber doch in sehr charakteristischer Weise geschieden, durch den Schluss der Lippen und eine andere Stellung des Gaumensegels (134 f.). Es folgt das b, das wir ebenfalls isoliren können. Mund und Nase sind abgesperrt, in den Hohlraum des Mundes hinein ertönt die Stimme (357), ebenfalls ohne begleitendes Geräusch. Also auch das stimmhafte b kann, was die Lautgebung während der Verschlussstellung anlangt, als einfacher Stimmlaut charakterisirt werden, und ist gelegentlich so charakterisirt worden. Mit dem m ist dieser der

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/66&oldid=- (Version vom 23.5.2022)