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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

42 115—117. Sonant und Consonant.


an, ar, as, af u.dgl. In diesem Fall dominirt dann für das Ohr allemal einer der verbundenen Laute (als ‘Hauptlaut’) über den oder die andern (in den gegebenen Beispielen ist es jedesmal der ‘Vocal’, bei Silben wie ai, au der erste ‘Vocal’). Mit Rücksicht auf diese dominirende Stellung innerhalb der Silbe wird der betreffende Hauptlaut ebenfalls als an sich silbenbildend oder silbisch empfunden. Die begleitenden übrigen Laute sind aber dann ihrer Function nach unsilbisch, insofern ihre Hinzufügung nicht neue Silben hervorruft. Die n, l in rit-tn, han-dl gelten uns also für ‘silbisch’, weil sie gegenüber dem t, d ihre Silbe dominiren, in be-ritt-ne, be-hand-le aber sind sie ‘unsilbisch’, weil hier das e ihnen gegenüber dominirt.

115. Dieser Gegensatz der Function wird durch die Adjectiva silbisch und unsilbisch hinlänglich gekennzeichnet, aber diese gestatten nicht zugleich auch die Bildung entsprechender und bequemer substantivischer Namen. Als solche hat neuerdings W. von Hörschelmann die nach manchen Seiten hin sehr passlichen Ausdrücke Dominant (für den Hauptlaut) und Dominaten (für die etwaigen Begleiter des Hauptlauts) vorgeschlagen: nur fehlen da wieder gleich empfehlenswerthe adjectivische Parallelen.

116. Unter diesen Umständen behält auch jetzt noch ein zuerst von Thausing (Das natürl. Lautsystem S.97) vorgeschlagenes Namenpaar seine praktischen Vorzüge. Thausing gebraucht nämlich das Wort Con-sonant ausschliesslich in seinem ursprünglichen functionellen Sinn als Namen für das was wir oben als Begleiter des Hauptlauts der mehrlautigen Silbe bezeichneten, und stellt ihnen statt des alten nun nicht mehr zutreffenden Gegensatzes ‘Vocal’den Ausdruck ‘Sonant als Bezeichnung des Hauptlauts der Silbe entgegen. Diese Ausdrücke sind auch insofern bequem, als man von ihnen wieder ohne Weiteres die adjectivischen Parallelen ‘sonantisch’ (= ‘silbisch’) und ‘consonantisch’ (= ‘unsilbisch’) ableiten kann.

117. Demgegenüber fällt der kleine Uebelstand kaum in’s (Gewicht, dass die Wörter ‘Consonant’ und "consonantisch’ nunmehr in einem von der älteren Grammatik abweichenden Sinne gebraucht werden, wie das jain der neueren Wissenschaft auch von andern termini techniei gilt: man hat sich lediglich zu merken, dass diese Ausdrücke phonetisch nur der Functionslehre angehören. Wer daran Anstoss nimmt, wird am besten thun, den Ausdruck ‘Consonant’ überhaupt zu

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/62&oldid=- (Version vom 23.5.2022)