Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen | |
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107. Die Eintheilung der Sprachlaute. | 37 |
machen? Die Frage ist für die vordere Hälfte der Verschlusslaute
zu bejahen. In ap hört man, von der Explosion des p
abgesehen (die man ja auch beliebig unterdrücken kann, indem
man die Lippen geschlossen hält) wirklich weiter nichts als das
a und den Gleitlaut zur p-Stellung (vgl. 444 f.). Anders aber
verhält es sich mit dieser Explosion selbst. Dieselbe besteht
in einem rein momentanen Knall, der in dem Augenblicke
entsteht, wo der Lippenverschluss gelöst wird. Dieser rein
momentane Charakter ist besonders deutlich zu beobachten bei
den Tenues, die mit verschlossenem Kehlkopf gesprochen werden,
und bei diesen wiederum am besten, wenn sie im isolirten
Auslaut stehen. Die Explosion der Tenues steht in dieser
Beziehung völlig auf einer Stufe mit dem Knalle der Schnalzlaute,
der bei Lösung des Saugverschlusses entsteht. Beide
können eben deswegen nicht als Gleitlaute gefasst werden,
weil sie momentan sind und nicht wie die wahren Gleitlaute
gebildet werden, während das Sprachorgan eine continuirliche
Reihe von Gestaltveränderungen durchläuft. Die Explosionsgeräusche
können unter Umständen ganz von allen folgenden
Schällen getrennt sein. So ist es z. B. ganz unmöglich, einen
Gleitlaut zwischen einem Schnalzlaut und einem folgenden exspiratorisch
gebildeten Schall zu statuiren. Auch wird man
schwerlich behaupten können, ein auslautendes p oder t oder k
(alle stets unaspirirt gedacht) stelle bloss einen Gleitlaut von
Pause zu Pause, vom Nichts zum Nichts dar. Dass sich an die
Explosion der Verschlusslaute sehr oft, ja gewöhnlich, wirkliche
Gleitlaute anschliessen, verschlägt dabei natürlich nichts,
ebenso wenig als es für die Definition der Verschlusslaute in
Betracht kommen kann, dass in gewissen Combinationen die
Explosion unterdrückt werden kann (457 ff.), d.h. dass ausnahmsweise
Pausen auch ohne nachfolgende Explosion auftreten
können.
107. Aus diesen Thatsachen folgt, dass man die ‘Verschlusslaute’ mit den übrigen Sprachlauten überhaupt nicht unter eine Definition bringen kann, es sei denn, dass man sie bloss als ‘Sprachelemente’ charakterisirt, womit aber ihre Natur in keiner Weise aufgeklärt oder bestimmt wird. Muss man aber dies zugeben, so kann man sich weiterhin begnügen festzustellen, dass zur Sprachbildung dienen 1) Stellungslaute, 2) Explosionslaute, 3) Gleitlaute und endlich 4) Pausen, die während der Dauer gewisser Stellungen eintreten, und dadurch eine gewisse Parallele zu den Stellungslauten bilden.
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/57&oldid=- (Version vom 23.5.2022)