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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

36 105. 106. Die Eintheilung der Sprachlaute.


Sprachlaute anerkannte. Aber die Terminologie, die darauf aufgebaut wird, ist höchst unbequem. Darf man p, i, A nicht mehr ‘Laute’ nennen, so müssen auch Ausdrücke wie ‘Lautgeschichte, Lautlehre, Lautwandel’ verworfen werden; dass man sich aber zur Annahme von ‘Sprachelementgeschichte, Sprachelementlehre, Sprachelementwandel’ je allgemein entschliessen werde, ist mindestens höchst zweifelhaft, und so lohnt es sich wohl zu erwägen, ob die Neuerung in Namen und Definition so vollkommen ist, dass man ihr nothwendig folgen muss.

105. Gegen den Namen ‘Sprachelement’ statt ‘Sprachlaut’ lässt sich ausser der angedeuteten Unbequemlichkeit nichts einwenden. Er ist umfassender und greift weniger einer Definition vor, als das Wort ‘Sprachlaut’. Aber die Flodström’sche Definition ist ohne Zweifel zu eng. Für die Laute, die uns in den indogermanischen Sprachen zu begegnen pflegen, könnte man sie sich im Ganzen gefallen lassen, aber sie schliesst z. B. die Schnalzlaute (s. 67) aus; denn während die Zunge an die Zähne oder den Gaumen festgesaugt wird und in dieser Stellung verharrt, wird sicherlich keine Luft aus den Lungen herausgetrieben. Und selbst innerhalb des Gebietes indogermanischer ‘Laute’ lassen sich begründete Zweifel er Allgemeingültigkeit der Definition erheben. Wie in 365 gezeigt ist, werden in gewissen Sprachen die sog. Tenues k, t, p mit Kehlkopfverschluss gebildet; die Compression der Luft im Mundraum gegeschieht nicht durch Austreiben der Luft aus den Lungen, sondern durch Zusammendrücken der Weichtheile des Mundes und Hebung des Kehlkopfs. Ob diese letztere stets durch einen Luftdruck von unten her unterstützt wird, ist sehr zweifelhaft; jedenfalls ist diese Unterstützung nicht nothwendig, und auf alle Fälle kann dieser Subsidiärdruck nicht mit dem Druck des direct wirkenden Exspirationsstroms auf eine Linie gestellt werden. Bezüglich der Respirations- oder Luftdrucksverhältnisse verlangt also auch die Definition Flodströms eine nicht unerhebliche Erweiterung.

106. Eine weitere Frage ist diese: Darf man wirklich decretiren, dass nur durch Verbindung von Stellung (incl. der Spannung und Exspiration bez. der eventuellen Surrogate für diese) ein selbständiges ‘Sprachelement’ erzeugt werde? Mit andern Worten: Sind es wirklich nur Gleitlaute zu und von der Verschlussstellung, welche die sog. Verschlusslaute (immer mit Beschränkung auf die stimmlosen) hör- und unterscheidbar

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/56&oldid=- (Version vom 23.5.2022)