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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

103. 104. Die Eintheilung der Sprachlaute. 35


d. h. unabhängig von ihrer Umgebung sind. Ein jedes einzelne a hat wie jedes einzelne m seine bestimmte Stellung. Die Gleitlaute sind dagegen unselbständig, sie richten sich nach der speciellen Nachbarschaft, in der ein Laut erscheint. In am ist der Uebergangslaut zum m hin ein anderer als bei em, im, om, um, oder auch als bei al, ar, af u.s. w., weil im ersten Falle der Ausgangspunkt, im zweiten der Endpunkt der Bewegung ein verschiedener ist. Aber gerade wegen dieser Unselbständigkeit der Gleitlaute, die überhaupt nicht isolirt darstellbar sind, kann man dieselben bei der ersten vorläufigen Betrachtung der constituirenden Elemente der Sprache bei Seite lassen. Sie finden dann in dem Abschnitt über Combinationslehre ihre ausführlichere Besprechung.

103. Von grösserer Bedeutung ist ein anderer Einwand gegen die Annahme von ‘Sprachlauten’ als constituirenden Sprachelementen, den namentlich Flodström betont hat. Nicht alle Momente der gesprochenen Sprache sind lautend. Die Reihe der Sprachschälle wird oft durch Pausen, d.h. lautlose Momente von grösserer oder geringerer Dauer unterbrochen. Dies ist der Fall bei allen sog. stimmlosen Verschlusslauten, wie p, t, k. Es kann ja gar keinem Zweifel unterliegen, dass in einem Worte wie apa oder appa in der Zeit zwischen dem Verschluss und der Wiederöffnung der Lippen keine Schallbildung stattfindet, und dass also die Hörbarkeit des p bez. des t, k u. s. w. in ähnlichen Fällen auf dem beruht, was vor dem ersten bez. mit oder nach dem zweiten dieser Momente produeirt wird. Ebenso ist es ohne Weiteres klar, dass in dem Worte appa die p-Pause genau der Zeit entspricht, in welcher in dem Worte amma die m-Stellung eingehalten wird. Die p-Pause des einen Wortes ist dem Stellungslaut m des anderen Wortes gleichwerthig. Da man aber Pausen, d.h. Negationen der Schallbildung, nicht als Laute bezeichnen könne, so wird gefolgert, dass man den Ausdruck Sprachlaut als allgemeinen Namen der constituirenden Sprachelemente aufgeben und einen andern, noch allgemeineren Ausdruck, wie Sprachelemente, dafür einführen müsse. Ein solches Element ist nach Flodström ‘das was hervorgebracht wird — sei es nun laut oder nicht — indem Luft aus den Lungen herausgetrieben wird und die Sprachorgane eine gewisse Stellung in Verbindung mit einem gewissen Grad von Spannung inne haben’.

104. Diese Auffassung ist ohne Zweifel bis zu einem gewissen Grade correcter als die frühere Ansicht, welche nur

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/55&oldid=- (Version vom 23.5.2022)