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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

24 62—67. Die Respirationsverhältnisse.


62. An und für sich ist die Zahl der Möglichkeiten verschiedener Druckstärke unbeschränkt: für die Sprache kommt es aber nicht so wesentlichauf ihrabsolutes Mass, als aufdas Verhältnissder innerhalb einer Sprache oder Sprachgruppe zur Unterscheidung gewisser sprachlicher Gebilde thatsächlich verwandten Druckgrade an. Hierdurch wird die Beobachtung sehr vereinfacht, da die Anzahl der verschiedenen Grade selten über zwei oder drei hinausgeht. Es kommt z. B. bei der Unterscheidung von b und p, d und t, g und k bezüglich ihrer Druckverhältnisse zunächst nur darauf an, dass hier überhaupt zwei Grade von Druckstärke einander gegenüber stehen. Die Einzelmasse des Drucks bei der Aussprache dieser Laute können vielfach wechseln und wechseln thatsächlich, je nachdem man dieselben z.B. in lauterer oder leiserer Rede oder im Flüstern verwendet, aber überall bleibt der Gegensatz zwischen den zwei Graden. Hat man also zunächst die Anzahl der überhaupt unterschiedenen Grade festgestellt, so folgt als zweite Aufgabe, den Abstand derselben von einander festzustellen (in Süd- und Mitteldeutschland liegen z. B. b und p u. s. w. einander vielfach näher als in Norddeutschland, u. dgl.). — Ebenso verhält es sich mit den Druckabstufungen der complicirteren sprachlichen Gebilde, wie der Silben, Sprechtakte u. s. w. Ueber diese ist Cap. 25 ff. zu vergleichen.

63. Im Vorhergehenden ist stillschweigend vorausgesetzt, dass die Sprachbildung nur während des Processes der Austreibung oder Exspiration vor sich gehe. In der That ist diese Art der Lautbildung durchaus die gewöhnlichere und nach dem Bau und der relativen Lage der Sprachorgane die natürlichere; denn nur so kommt der arbeitende Luftstrom (Druckstrom) der fortschreitenden Bewegung der Schallwellen zu Hülfe.

64. Spricht man die einzelnen Sprachlaute inspirirend statt exspirirend, so wird die klare und scharf abgegrenzte Färbung derselben verwischt, die Stimme wird rauher und dumpfer. Zu einer regelmässigen Verwendung ist denn auch die inspiratorische Lautbildung in den meisten Sprachen nicht gekommen.

65. Im Deutschen werden allenfalls in nachlässiger Rede Partikeln wie ja, juch mit Inspiration gesprochen, seltener auch so (gewöhnlich dann ho ausgesprochen), beide aber auch nur dann, wenn sie für sich allein in die Rede eines andern eingeworfen werden. Ueberhaupt hängt sehr vieles dabei lediglich von persönlicher Angewöhnung ab. Sonst kommt es wohl vor, dass dies oder jenes Wort während eines Gähnanfalles mit Inspiration hervorgebracht wird. Zuerst beobachtet wurde die inspiratorische Sprechweise von Kempelen $. 103f. bei ‘geschwätzigen Weibern und eifrigen Betern in katholischen Kirchen‘, Aus der Schweiz berichtet Winteler 8. 5 ihre gelegentliche Anwendung zur Unkenntlichmachung der Stimme.

66. Ohne eigentliche Respiration werden ausser den Schnalzlauten (67) nur noch die Tenues mit Kehlkopfverschluss (365) gebildet.

67. Von den inspiratorischen Lauten sind wiederum zu trennen die sog. Schnalzlaute, die man bisweilen irrig mit

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/44&oldid=- (Version vom 11.5.2022)