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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

20 51—54. Das menschliche Sprachorgan.


Zahnreihe, sodann der Zunge, welche nach vorn zu in eine freiliegende, weniger massige Spitze ausläuft. An ihren rückwärtsliegenden, absteigenden Theil schliesst sich der Kehldeckel (s. 35) an, den man leicht fühlen kann, wenn man eine Fingerspitze auf dem Rücken der Zunge abwärts führt.

Die verschiedenen Bewegungen der Zunge werden, da sie fast sämmtlich zur Unterscheidung von Einzellauten dienen, erst später im Einzelnen besprochen werden.

5l. Um zum Verständniss der complicirten Bewegungen der Zunge zu gelangen, ist es sehr rathsam, sich einige Kenntniss von ihrer Musculatur zu verschaffen. Hierbei kommen zunächst die beiden Wurzeln der Zunge in Betracht. Die vordere Zungenwurzel (musculus genioglossus) setzt an der innern Seite des Unterkiefers an und zieht die Zunge durch ihre Contraction nach vorn; die hintere Zungenwurzel (musculus hyoglossus) ist am Zungenbein (s. 31) angeheftet und zieht die Zunge nach hinten und unten. Ausserdem besitzt die Zunge noch einen obern Längsmuskel, der die Zungenspitze nach oben gegen den harten Gaumen hebt, und einen untern Muskel, der sie gegen die untern Schneidezähne senkt; ferner quere und senkrechte Muskelfasern, welche die Zunge ganz oder stellenweise verschmälern, verlängern, hügelförmig aufheben oder umgekehrt verbreitern, verkürzen und aushöhlen können. Endlich besteht noch ein vielfach zusammengesetztes Muskelsystem, welches die Zunge in ihrem vorderen, mittleren oder hinteren Theile hebt oder senkt.

52. Ueber dem Mundraum liegt seiner ganzen Länge nach der, abgesehen von dem beweglichen Gaumensegel, rings von festen Wänden umschlossene, also wesentlich unveränderliche Nasenraum. Vom Mundraum scheiden ihn der harte und der weiche Gaumen (das Gaumensegel), welcher letztere je nach seiner Stellung die Communication zwischen beiden verhindert oder gestattet. Charakteristisch ist für den Nasenraum, dass er in zwei Mündungen, die Nasenlöcher, endigt und dass diese nicht wie die Mundöffnung verschlossen werden können.

53. Das gesammte Ansatzrohr besteht hiernach im Wesentlichen aus drei Theilen, deren Communicationen unter einander durch zwei klappenartige Verschlüsse regulirt werden können: dem Kehlraum nebst dem zugehörigen Kehldeckel, und Mundund Nasenraum, denen als gemeinschaftliche Klappe der weiche (saumen dient; den Verkehr mit der äussern Luft reguliren die Lippen.

54. Von allen in diesem Capitel besprochenen Theilen des Sprachorgans verlangen die sichtbaren das genaueste Studium. Eine vollständige und sichere Kenntniss der Theile des Mundraums und ihrer Bewegungen ist ganz unerlässlich. Man beginne also mit dem Studium des Mundraums, Sodann versuche man mittelst des Kehlkopfspiegels einen Einblick in den Kehlkopf zu gewinnen, und endlich orientire man sich über den

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/40&oldid=- (Version vom 11.5.2022)