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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

12 26—28. Das menschliche Sprachorgan.


verwandt. Man pflegt sie in dieser Anwendung mit dem Namen Ansatzrohr zu bezeichnen, weil sie meistens mit der Schallquelle direct verbunden sind. Eine ebensolche Verbindung einer Schallquelle mit einem Ansatzrohr, das der mannigfaltigsten Umgestaltung (d. h. der vielfältigsten Modification eines hindurchgeleiteten Schalles) fähig ist und innerhalb dessen zugleich wieder Geräusche verschiedenster Art erzeugt werden können, bietet das menschliche Sprachorgan dar, dessen Einrichtung und wesentlichste Functionen die folgenden Capitel besprechen werden.

Cap. 3. Das menschliche Sprachorgan.

26. Das menschliche Sprachorgan besteht aus drei wesentlich verschiedenen Theilen mit wesentlich verschiedener Function: dem Respirationsapparat, dem Kehlkopf und dem dem letzteren vorgelagerten Ansatzrohr.

27. Die Aufgabe des Respirationsapparats ist die Herstellung des zur Erzeugung von Sprachlauten nothwendigen, aber noch nicht selbst schallbildenden Luftstroms. Kehlkopf und Ansatzrohr dienen entweder gleichzeitig oder unabhängig von einander zur Bearbeitung dieses Luftstroms; und zwar erregt der Kehlkopf denselben in der Regel zum Tönen, nur in selteneren Fällen (namentlich bei der Bildung des A und des Kehlexplosivs, vgl. Cap. 17, sodann aber regelmässig beim Flüstern) zur Hervorbringung von blossen Geräuschen; das Ansatzrohr aber wird entweder zur Modification der im Kehlkopf erzeugten Klänge oder Geräusche, oder aber zur Hervorbringung selbständiger, von der Thätigkeit des Kehlkopfs unabhängiger Geräusche verwandt. Es ist von grosser Wichtigkeit, von vorn herein sich dieses Functionsunterschie- des deutlich bewusst zu werden.

28. Zur Veranschaulichung des Gesagten achte man auf die verschiedene Thätigkeit der einzelnen Organe, während man die Sprachlaute, die man von Jugend auf zwanglos zu bilden gelernt hat, in systematischer Anordnung nach einander ausspricht. Man kann hierbei dem ungeübten Ohre durch das Gefühl zu Hülfe kommen, indem man einen Finger auf den Kehlkopf legt (Kempelen 232). Jedesmal wenn die Stimmbänder tönen, geräth der Kehlkopf in deutlich fühlbare zitternde Schwingungen. Diese wird man z.B. bei allen Vocalen und den Nasalen leicht wahrnehmen (bei diesen Lauten dient das Ansatzrohr nur zur Modification). Dagegen ist es alsbald einleuchtend, dass z. B. bei k, t, p; ch, s, f innerhalb des Ansatzrohrs selbst ein Geräusch gebildet wird. Der Kehlkopf bleibt während der Bildung dieser Laute ganz ruhig. Er geräth aber sofort

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/32&oldid=- (Version vom 23.5.2022)