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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

240 647—649. Die Abstufung der Satztakte unter einander.


645. Diese Variabilitiit der schwacheren Silben erstreckt sich auch auf die eines eigenen Nachdrucks entbehrenden Worter, namentlich wieder die Encliticae u. dgl. Wir sagen z. B. -wo zai·tirgᵊ(:) wë·zn, wo seid ihr gewesen, d.h. das i hat die schwichste Stelle im Takt, wenn auch das gᵊ kaum merkbar stärker ist; aber bei der Vermehrung des Taktes um eine Silbe, z. B. in wō·zaiti:rgᵊ wē·zn (Nachdruck auf wo) wird tir mittelstark und zai schwach (man beachte, dass nicht die ebenfalls häufige Aussprachsweise wō·zai:tirgᵊ wēzn mit gedehntem starkem und übermittelstarkem, fast einen neuen Takt einfiihrenden zai gemeint ist). — Man vergleiche auch häufige Betonungen wie ‘a·ndarbei:tn Handarbeiten, u·nfolšte:ndiχ unvollstiindig, oder wie mi·taelu:eꬻᵊn Mittheilungen, etc.

646. Es ist oft sehr schwer iiber die Stirkeverhiltnisse der schwii- cheren Silben in’s Klare zu kommen, zumal man gewoéhnlich bestimmte Vorstellungen dariiber mitbringt, namentlich wie die oben 624 erwihnten Ansichten iiber die Stiirke ‘selbstiindiger Woérter.. Man darf auch nicht einzelne Silbengruppen aus dem Satze herausnehmen, weil sich dabei gar zu leicht die Takttheilung und damit die relative Starke der einzelnen Silben verschiebt. Sweet empfiehlt daher S.92 nur die zu untersuchenden Silben des Satzes mit lauter Stimme auszusprechen, die andern sich nur gesprochen zu denken oder sie zu fliistern.

4, Die Abstufungen der Satztakte unter einander.

647. Auch die einzelnen Takte des Satzes kénnen unter einander mannigfach abgestuft sein. Man muss hier zweierlei unterscheiden: die bis zu einem gewissen Grade feststehende, natiirliche Abstufung benachbarter Takte, und die willkiirlich wechselnde Abstufung von Takten beliebiger Stellung zum Behuf von Modificationen des Sinnes einer Wortreihe.

648. Die erstere Art der Abstufung (einfach rhythmische Abstufung) vergleicht sich der Abstufung der einzelnen Silben im Takte. Sie dient dazu, den Eindruck der Monotonie im gesprochenen Satze zu verhiiten. Am deutlichsten tritt sie fiir uns hervor, wo die Nachbartakte sich iiber ein ein- ziges Wort erstrecken, das ja in der Regel eine feste Abstufung der einzelnen Silben zeigt. In ko:nstanti: nō-pl enthalten beide Takte eine starke Silbe; functionell steht die Silbe kon der Silbe vollig gleich; aber ihre absolute Stärke ist verschieden, da der Takt nōpl an sich stärker ist als der vorausgehende. Im Deutschen, das einfache Worter von bedeutender Linge kaum kennt, tritt diese Erscheinung am hiiufigsten in Compo- sitis auf, z. B. altᵊrtu:ms ku·ndᵊ; der Anfangstakt ist hier meist der stärkere.

649. Nach Lachmann’s Auffassungsweise hat die Stammsilbe des zweiten Gliedes von Compositis im Deutschen einen ‘Tiefton’,

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/260&oldid=- (Version vom 4.3.2024)