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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

599—601. Der musikalische oder tonische Silbenaccent. 225


hàlm u.dgl.). Schallsilbengruppen mit durchlaufender Exspiration (also ohne Druckgrenze, wie nhd. >rᵊ, á>lᵊ, >mᵊr) setzen allerdings wohl überall starke Schneidung des Sonanten der ersten Silbe voraus, sie finden sich aber auch nur in Sprachen, welche auch sonst den stark geschnittenen Accent besitzen und überhaupt stark erspiratorischen Accent haben. Sprachen, welche alle Silben durch Druckgrenzen von einander scheiden, haben vor der Druckgrenze wohl meist den schwach geschnittenen Accent, auch bei kurzen Sonanten, wie in schweiz. lě̀-sᵊ, gĕ̀-bᵊ, russ. vŏ̀-du etc.

Cap. 30. Der musikalische oder tonische Silbenaccent.

599. ‘Beim Singen verweilt die Stimme ohne Wechsel der Tonhöhe auf jeder Note und springt dann so rasch wie möglich zu der folgenden Note über, sodass der verbindende “Gleitton” nicht wahrgenommen wird, wenn auch keine wirkliche Unterbrechung des Tlones stattfindet. Beim Sprechen dagegen verweilt die Stimme nur gelegentlich auf einer Note; sie bewegt sich vielmehr fortwährend auf und ab, von einer Note zur andern, sodass die verschiedenen Noten, die wir zur Bezeichnung der Tonhöhe einer Silbe ansetzen, einfach Punkte sind, zwischen denen die Stimme beständig gleitet’ (Sweet, Handb. S. 93 f., vgl. auch Storm, Om Tonef. 4 [278]; Engl. Phil. 12, 205 ff.).

600. Insofern sich nun diese Tonbewegung innerhalb der einzelnen Silbe abspielt, wird sie als musikalischer oder chromatischer (Verner) oder kürzer als tonischer Silbenaccent bezeichnet. Für den tonischen Silbenaccent kommen also alle Unterschiede der absoluten Tonhöhe der einzelnen Silben im Worte oder Satze nicht in Betracht; diese und ähnliche Fragen sind vielmehr erst in der Lehre vom tonischen Wort- oder Satzaccent (Cap. 33) zu besprechen. Unter tonischem Silbenaccent verstehen wir vielmehr einzig und allein die Art, wie während der Bildung einer Silbe die Tonhöhe der Stimme behandelt wird.

601. Wie leicht ersichtlich, gibt es drei einfache Hauptformen dieses Accents: den ebenen —, den steigenden / und den fallenden \. Ausserdem können Combinationen dieser Grundformen eintreten, von denen der fallend-steigende v (compound rise Sweet) und der steigend-fallende ʌ (compound fall Sweet) die häufigsten sind. Doppelt steigender

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/245&oldid=- (Version vom 22.9.2022)