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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

224 595—598. Die Druckabstufung des Silbenschlusses.


595. Ueberhaupt muss man sich hüten, die Vertheilung dieser beiden Accentarten, welche das Bühnendeutsche aufweist, für allgemein verbreitet zu halten. Fehlt ein deutlich stark geschnittener Accent schon einer Reihe von Mundarten, so scheint er gar ausserhalb des Deutschen nur verhältnissmässig selten aufzutreten, und zwar da eben auch nur in Sprachen, welche wie das Bühnendeutsche sich durch grosse Stärke des betonten Sonanten auszeichnen, also sog. stark exspiratorischen Accent haben. Danach darf man vielleicht annehmen, dass der stark geschnittene Accent des Bühnendeutschen und anderer moderner (germanischer) Idiome erst auf secundärer Entwicklung beruht. Auch begreift sich leicht, dass da es sich hier um graduelle Unterschiede handelt, neben den extremen Formen der beiden Accentarten, wie sie das Deutsche zum Theil aufweist, auch weniger ausgeprägte Uebergangsformen auftreten können.

596. Folgt einem stark geschnittenen Sonanten ein derselben Drucksilbe (demselben Druckstoss) angehörender Consonant, so partieipirt dieser mindestens in seinem Eingang noch an der Stärke des geschnittenen Sonanten, erhält also mehr oder weniger fortisartigen Charakter, wie schon oben 182 angedeutet wurde. Dies zeigt sich sowohl im Auslaut der Drucksilbe (vgl. z. B. die Stärkeverhältnisse der silbenschliessenden Consonanten in Fällen wie soll: wol, sollte: holte (gesp. sól: wṑl, sóltᵊ: hṑl-tᵊ), als beim Schluss blosser Schallsilben mit durchlaufender Exspiration (vgl. z. B. solle: hole, amme: ahme, ebbe: lebe, egge: lege, gespr. >lᵊ: hṑ-lᵊ, á>mᵊ: ā̀-mᵊ, é>bᵊ: lḕ-bᵊ, é>gᵊ: lḕ-gᵊ u.dgl.).

597. Nur einen speciellen Fall dieser allgemeinen Regel stellt das von Winteler (Kerenzer Mundart 142 ff.) zunächst für seine Mundart beobachtete sog. Winteler’sche Silbenaccentgesetz dar, wonach jeder Dauerlaut (Liquida, Nasal, Spirans) in allen einigermassen nachdrücklichen Silben nach kurzem Vocal in der Regel als Fortis erscheint, sobald noch ein demselben Worte angehöriger Consonant darauf folgt Dass die letztere Beschränkung von Haus aus nicht wesentlich war, sondern dass es allein auf die Stellung im Nachlaut des stark geschnittenen Sonanten ankam, zeigt Heusler, Alem. Consonantismus 12 ff.

598. Die Unterscheidung des stark und schwach geschnittenen Silbenaccents berührt sich vielfach mit den verschiedenen Arten der Silbentrennung, ist aber nicht von ihr ohne Weiteres abhängig, wie schon die oben 594 angeführten Beispiele lehren (vel.namentlich Fälle wie bühnendeutsch hálm mit dialektischem

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/244&oldid=- (Version vom 19.7.2022)