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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

216 569. 570. Accent und Quantität.


569. So ordnen sich z.B. die einzelnen Consonanten der mehrlautigen Silbe ihrem Sonanten unter (535); die einzelnen Silben des mehrsilbigen Wortes oder Sprechtakts sind nach Tonhöhe, Stärke und Dauer abgestuft, und jeder einzelne Satz hat seinen eigenen Rhythmus und seine eigene Melodie. Der Unterschied einer blossen Laut-, Silben- und Wortreihe von einer wirklichen Silbe, einem Worte oder einem Satze wird demjenigen sofort klar werden, der etwa Gelegenheit hat, eine Sprechmaschine zu beobachten, die bis jetzt wenigstens nur wesentlich unabgestufte Lautreihen zu liefern vermag. Da diese Maschinen an Stelle der Stimmritze nur eine Zungenpfeife von wesentlich unveränderlicher Stimmung besitzen, so haben alle ‘stimmhaften’ Laute solcher Maschinen gleiche Tonhöhe, und alle Laute sind, da die Maschine, wie z. B. die Orgel, mit einem Blasebalg arbeitet, der wesentlich unter gleichbleibendem Druck steht, gleich stark. Auch die natürlichen Abstufungen der Dauer in der menschlichen Rede lassen sich auf der Maschine nur sehr unvollkommen nachbilden.

570. Die verschiedenen Abstufungen der Dauer hat die Lehre von der Quantität der Satzglieder zu behandeln, deren wichtigste Sätze unten 684 ff. vorgetragen werden sollen. Die Abstufung nach Stärke und Tonhöhe pflegt man unter dem Namen Accent oder Accentuirung zusammenzufassen, und diese Namen mögen auch hier verwendet werden, obwohl sie zu verschiedenen Zeiten in sehr verschiedenem Sinne gebraucht worden sind. Das lat. accentus als Uebersetzung des griech. προσωδία bedeutete zunächst ‘das zum Sprechen Hinzugesungene’, also (mindestens vorwiegend) die Melodie des Gesprochenen (das griech. προσωδία. selbst ist allmählich ganz in die Bedeutung von -‘Quantitätslehre’ übergegangen, also aus der Accentlehre ganz ausgeschieden). Die antike Accentlehre fasste demnach (wie auch die Accentlehre der indischen Grammatiker) wesentlich nur die beim Sprechen gebrauchten Tonhöhen bez. Tonintervalle ins Auge und schuf danach die Namen der einzelnen ‘Accente’ (z. B. gr. ὀξεῖα, lat. acutus für eine Silbe mit musikalisch hohem, gr. βαρεῖα, lat. gravis für eine Silbe mit musikalisch tieferem, gr. περιστωμένη, lat. circumflexus für eine Silbe mit einer Bindung zweier verschiedener Töne oder Tonhöhen u.s.w.). Bei modernen Sprachen, wie dem Deutschen aber wird das Wort ‘Accent” gemeinhin zunächst auf die Abstufungen des Nachdrucks bezogen, mit denen die einzelnen Satzglieder, besonders Silben, gesprochen werden. In demselben Sinne reden wir gemeinhin von Betonung, Tonsilben, unbetonten Silben u. dgl. oder verstehen unter Hochton und Tiefton (mit Lachmann) die stärkste bez. mittelstarke Silbe einer Silbenfolge u. s. f. Unsere gesammte landläufige Terminologie ist also eine bildliche, indem Namen,

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/236&oldid=- (Version vom 16.7.2022)