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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

212 556—559. Druckgrenze im Consonanten (Gemination).


und sämmtliche finnische Sprachen reich an echten Geminaten (man vergleiche zur Orientirung etwa ital. anno, balla, basso, atto, occhio, ebbe, faccia, legge, pozzo, mezzo, beachte aber, dass gerade auch im Italienischen die Silbengrenze sich vielfach bereits zu verschieben beginnt, d. h. dass man anfängt z. B. a-to statt at-to zu sprechen).

556. Es ist nun ebenso deutlich, dass das Ohr hier wirklich zwei getrennte Laute (einen am Schlusse der ersten, einen am Anfang der zweiten Silbe) zu vernehmen glaubt, als dass eine eigentliche Doppelsetzung (d. h. doppelte Einsetzung) des betreffenden Consonanten nicht stattfindet. Das letztere zeigen am deutlichsten die Verschlusslaute (und Affricatae), bei denen zwischen den beiden Silben eine Oeffnung des Verschlusses nicht eintritt. Der Name Gemination bezieht sich vielmehr nur auf jenen Doppeleindruck, den das Ohr empfängt, und dieser wird eben dadurch hervorgerufen, dass in den Oonsonanten hinein eine Druckgrenze gelegt wird.

557. Am deutlichsten ist dies zu beobachten bei stimmhaften Dauerlauten, namentlich Sonoren. In Lautfolgen wie ai̯-i̯a, au̯-u̯a, an-na wird z. B. die erste Hälfte des i, u, n mit dem Schlusse des Exspirationsstosses der ersten Silbe decrescendo gebildet, bis das Minimum des Druckes erreicht ist, die zweite Hälfte crescendo mit dem Eingang des zweiten Exspirationsstosses, bis die Stimme in dem zweiten Sonanten wieder bei ihrer vollen Stärke anlangt. Der Consonant zerfällt dabei deutlich in zwei Hälften, deren erste exspiratorisch zur ersten und deren zweite exspiratorisch zur zweiten Silbe gehört. Solche Gruppen sind also als ai̯>-i̯a{{ü<}}, an>-na{{ü<}} zu bezeichnen; sie sind ebenso deutlich von Gruppen wie ai̯̇̍>a, an̍>a wie von a>-i̯a<, a>-na< geschieden.

558. Ebenso verhält es sich bei stimmlosen Dauerlauten, also bei Folgen wie as>-sa< u. dgl., nur ist hier das Decrescendo-crescendo etwas schwieriger zu beobachten, weil es sich nur an dem Geräusch der Spirans geltend macht.

559. Bei Verschlusslauten fällt die Druckgrenze in die Zeit zwischen Verschluss und Explosion. Das Decrescendocrescendo der Geminata lässt sich demnach nur bei den stimmhaften Verschlusslauten direct hören, bei denen der Blählaut die Dauer der Verschlussstellung ausfüllt. Bei den geminirten

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/232&oldid=- (Version vom 15.7.2022)