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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

532—534. Der Bau der Silbe und die Schallfülle ihrer Glieder. 205


532. Unter den Liquiden ist unsilbisches r schallvoller als unsilbisches l, daher wohl einsilbig árl, aber nicht álr. Für den isolirten Silbenanlaut werden sowohl rl wie lr vermieden. — Die relative Schallfülle der Nasale unter einander scheint ziemlich gleich zu sein. Im Ganzen ist der Zusammenstoss zweier unsilbischer Nasale innerhalb einer Silbe selten, und es scheint dabei nicht sowohl auf ihre Stellung vor oder nach dem Sonanten anzukommen, als darauf, dass die Uebergangsbewegung vom ersten auf den zweiten müglichst leicht auszuführen sei; so sprechen sich mná, ꬻná leichter als nmá etc., weil die leicht bewegliche Zungenspitze rascher zum n einsetzen kann, als die Lippen zum m.

533. Die sonoren Nebenformen stimmhafter Spiranten (500) stehen etwa auf gleicher Stufe mit den Liquiden, also ᵹ̭ parallel mit r etc.

534. Unter den Geräuschlauten gehen, wie bemerkt, die Spiranten den Explosivlauten vor. Es bilden also z. B. tsa, psa einfache Schallsilben, ebenso auch in umgekehrter Folge ast, asp, wenn man von der Explosion des Schlussconsonanten absieht. Bei den stimmlosen Explosiven versteht sich dies von selbst, denn mit deren Pause wird der Nullpunkt der Schallstärke erreicht, die Explosion selbst bringt neuen Schall, stellt also eine Verstärkung der Schallstärke dar. Ebenso verhält es sich aber auch mit den stimmhaften Explosiven. Bei ihnen ist die Stimme in dem Moment vor der Explosion am meisten herabgesetzt (435), mit der Explosion setzt sie wieder voller ein, also haben wir auch bei ihnen nothwendig eine Discontinuität der Schallstärke. Ist die Explosion selbst bei einem mit Stimme eingesetzten Verschlusslaut stimmlos, wie hüufig im Auslaut, so versteht sich wiederum der Bruch der Silbe in dem Momente, wo die Stimme aussetzt, von selbst. Kommen also irgendwie Verschlusslaute ins Spiel, so kann die Schallsilbe streng genommen hüchstens von der Explosion des dem Sonanten zunächst vorangehenden bis zum Verschluss deszunächst folgenden Verschlusslauts dauern. Noch weniger sind streng genommen Verbindungén zweier Verschlusslaute im Silbenanlaut oder -auslaut môglich, ebensowenig wie Verbindungen von Spirans + Verschlusslaut im Silbenanlaut oder die umgekehrte Reihenfolge im Silbenauslaut. Wenn wir trotzdem ptá, ktá, ápt, ákt, spá, stá, áps, áts, ja selbst átst, átšt, štšá, áštš, zumal bei rascherer Sprechweise, als einfache Silben betrachten, so ignoriren wir einfach die Existenz der hier von den anlautenden oder auslautenden Consonantverbindungen gebildeten kleinen ‘Nebensilben’, wegen der geringen Schallfülle der hier auftretenden stimmlosen Geräuschlaute, denen gegenüber die Hauptsilbe mit

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/225&oldid=- (Version vom 27.6.2022)