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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

204 527—531. Der Bau der Silbe und die Schallfülle ihrer Glieder.


527. Ein ähnliches Verhältniss gilt für die Consonanten unter einander: je näher dem Sonanten, um so grüsser muss die Schallfülle sein. Daher ist die Reïhenfolge der Lautarten, welche einem Sonanten unsilbisch vorausgehen künnen, genau entgegengesetzt der Reïhenfolge der Lautarten, welche dem Sonanten als Consonanten folgen künnen; nur sind die Gesetze für den Silbenauslaut strenger als die für den Anlaut.

528. Die Abstufungen der Schallfülle sind lediglich experimentell festzustellen. Dabei ergibt die Untersuchung Folgendes. Zunächst haben alle Dauerlaute (186) den Vorrang vor den Explosiven. Innerhalb der Dauerlaute stuft sich die Schallfülle sodann einmal nach dem Grade ab, in welchem die Stimme zur Geltung kommt, sodann nach der Grüsse der Ausflussüffnung. Es stehen also alle stimmhaften Dauerlaute den stimmlosen voraus, und unter ihnen die Sonoren den stimmhaften Geräuschlauten.

529. Unter den Sonoren wiederum nehmen die Vocale den ersten Platz ein, und unter diesen das a, weil hier bei trichterfürmiger (Grestalt des Ansatzrohrs die Stimme am wenigsten einer Dämpfung unterliegt. Die Schallfülle nimmt ab, je mehr der Mund geschlossen, d. h. je enger der Vocal gebildet oder je stärker er gerundet wird (Beispiele hierzu s. im Einzelnen bereits 418 etc.).

530. Nüchst den Vocalen kommen die Liquiden und Nasale. Sie sind einander für die Silbenbildung gleichwerthig, sobald einer der Laute Sonant, der andere Consonant sein soll, d. h. man kann hier willkürlich durch Veränderung der Druckstärke Verbindungen wie , nḿ, , , , lḿ etc. hervorbringen. Sollen aber zwei von diesen Lauten zugleich Consonanten sein, so scheint eine derartige Ueberwindung der Schallfülle durch die Druckstärke nicht müglich zu sein, und zwar scheinen dabei die Liquiden allemal den Nasalen vorauszustehn, d. h. es sind Silben wie mlá, mrá und álm, árm müglich, aber nicht wohl lmá, rmá oder áml, ámr.

531. Vocale künnen vor Liquiden oder Nasalen nur ausnahmsweise unsilbisch auftreten, nämlich wenn sie besonders starke Verengungsgrade aufweisen, z. B. i oder stark gerundetes u u. dgl. (also i̯l, u̯l, i̯l̯a, u̯l̯a etc). Sie sind ausserdem dann wohl stets zu blossen Gleitlauten reducirt. Nach Liquiden und Nasalen ist es uns noch schwerer, Vocale unsilbisch zu sprechen. Am besten gelingen noch Bildungen mit (wie alu̯) einsilbig. In allen solchen Füllen muss man die Druckstärke der Vocale gewaltsam herabsetzen.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/224&oldid=- (Version vom 27.6.2022)