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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

202 522. 523. Der Bau der Silbe im Allgemeinen.


Silbe als eine Exspirationssilbe (exspiratorische Silbe) oder kürzer als Drucksilbe bezeichnen.

522. Der Satz, dass innerhalb der Silbe die Druckstärke im Sinne von 521 continuirlich sein müsse, lässt sich aber nicht dahin umkehren, dass nun auch alles was mit continuirlicher Druckstärke gesprochen wird, für das Ohr nur éine Silbe ausmache. Die Lautfolge aia oder asa lässt sich z. B. auf keine Weise einsilbig aussprechen, mag man die gleiche Druckstärke von Anfang bis zu Ende durchführen oder irgend eine andere Form continuirlicher Regelung wählen. An der Zahl der Elemente der Lautfolge liegt das nicht, denn Folgen wie ais oder ain, ains (selbst ainst, wenn man von der Explosion des t absieht) lassen sich leicht einsilbig aussprechen. Der Grund liegt vielmehr in dem Wechsel von Lauten verschiedener Schallfülle innerhalb der Folge. In asa hat das s als blosser Geräuschlaut wesentlich geringere Schallfülle als die umrahmenden sonoren a (vgl. 517, 2, a), in aia ist die Schallstärke des i trotz gleicher Schallart durch Dämpfung gegenüber der der a stark vermindert, und dieser Contrast kann auch durch entsprechende Veränderung des Drucks nicht beseitigt werden (vgl. 518). Daher ist denn auch die Schallstärke in den Folgen aia, asa nicht continuirlich in dem Sinne abgestuft wie wir oben 521 von continuirlicher Druckstärke sprachen. Vielmehr findet bei aia, asa und äbnlichen Folgen auch ganz abgesehn von etwaigem Wechsel der Druckstärke ein Durchgang durch ein Minus von Schallstärke statt. Da es nun für unsere Auffassung gleichgültig ist, auf welche Weise eine Discontinuität (516) in die Schallstärke einer Lautmasse hinemgebracht wird, so versteht sich leicht, dass auch bei gleichbleïbender oder sonst continuirlicher Druckstärke der blosse Durchgang durch Laute geringerer Schallfülle den Eindruck der Mehrsilbigkeïit eines Lautcomplexes hervorrufen kann. Neben den oben charakterisirten Drucksilben sind demnach auch Silben aufzustellen, deren Begrenzung von der Abstufung der natürlichen Schallfülle ibrer Elemente abhängt. Wir wollen diese Silben im Unterschied von den Drucksilben mit dem Namen Schallsilben bezeichnen.

523. Dass in der That wiederkehrende blosse Dämpfung im Stande ist, einen Sprachschall von gleichbleibender Druckstärke in verschiedene Silben zu zerlegen, kann ein sehr einfaches Experiment lehren: man spreche anhaltend einen Vocal wie a mit môglichst gleichmässiger Stärke und schlage dabei mit der flachen Hand auf den Mund, dessen

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/222&oldid=- (Version vom 27.6.2022)