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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

198 515—517. Der Bau der Silbe im Allgemeinen.


II. Silbenbildung.
Cap. 25. Der Ban der Silbe im Allgemeinen.
(Drucksilben und Schallsilben. Die relative Schallfülle der Silbenglieder.)

515. Eine einheitliche genetische Definition des Begriffs ‘Silbe’ lässt sich nicht geben. Vielmehr kann man zunächst nur nach der akustischen Seite hin feststellen, dass das Ohr des Hörers die zusammenhängende Rede subjectiv in gewisse Theilstücke zerlegt, d.h. in Schallmassen die es als in sich und im Gegensatz zu andern ähnlichen Schallmassen relativ enger geschlossene Einheiten auf- und zusammenfasst, und dass diese Theilstücke das sind was man als Silben zu bezeichnen pflegt (vgl. 618 ff.).

516. Diese Zerlegung der Rede in Silben beruht darauf, dass das Ohr gewisse Discontinuitäten in der Schallstärke der einzelnen Momente der Rede wahrnimmt und bewerthet. Speciell werden Minima der Schallstärke als silbenscheidend empfunden, d. h. das Ohr lässt allemal da eine Silbe zu Ende gehn und eine neue Silbe anheben, wo in zusammenhängender Rede ein Durchgang durch ein Minimum von Schallstärke stattfindet. Die Minima selbst können wieder verschiedener Art sein, nämlich entweder absolute Minima oder Schallpausen, d. h. schalllose Momente vor dem Einsetzen eines neuen Schalles oder nach dem völligen Verklingen einer abgelaufenen Schallmasse, oder relative Minima, d. h. Momente geringerer Schallstärke, die, bei fortlaufender Schallbildung, durch Momente grösserer Schallstärke umrahmt sind. Die trennende Wirkung absoluter und relativer Minima ist nur dem Grade nach verschieden. Abgesehn davon werden relative Minima ebenso constant als Trenner empfunden wie die absoluten. Schwankungen in der Auffassung können daher nur entstehen, wo es sich nur um sehr geringe Unterschiede der Schallstärke handelt.

517. Für das Verständnis der Silbenbildung und -trennung kommen daher in erster Linie die jeweiligen Abstufungen in der Schallstärke der verschiedenen Sprachlaute in Betracht, aus denen sich die Rede zusammensetzt. Diese Abstufungen

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/218&oldid=- (Version vom 21.6.2022)