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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

194 505—507. Stellungsreduction.


erst dann, wenn sich die Zunge aus der specifischen i- oder l-Stellung zu entfernen beginnt. Es entstehen dann nicht volle i, l etc., sondern nur die Gleitlaute der Uebergangsbewegung von i, l zum folgenden Vocal, die man bei dauernder Aussprache von i, l überhörte, die aber jetzt, wo sie isolirt dem Vocal vorausgehn, deutlich vernommen werden und den Eindruck eines dem Anfang der Uebergangslaute entsprechenden Lautes, also hier , hervorrufen.

505. Mit den unsilbischen Sonoren stehen auf einer Stufe die dufch Geräuschreduction entstandenen Nebenformen der stimmhaften Spiranten (oben 500 ff.). Wir bezeichnen deren zeitliche Reduction durch Verbindung der beiden Zeichen  ̭ und ˳ zu  . So ist z. B. w die in Mitteldeutschland übliche Wiek des anlautenden bilabialen w. Entsprechendes labiodentales v findet sich öfter in Oberdeutschland und der Schweiz, s. Winteler S. 30 f., auch wohl in Norddeutschland, aber z. B. wohl nicht im Anlaut des Englischen. Das japan. v scheint mir ebenfalls hierher zu gehören, es ist besonders schwach und sehr weit gebildet. Als ð fasse ich auch die so oft besprochene Aussprache des anlautenden engl. weichen th, bei deren Auffassung das ungeübte Ohr leicht zwischen Spirans und Verschlusslaut schwankt. Das deutsche für uvulares r wird im Anlaut auch meist als gesprochen.

506. Sonore Gleitlaute können auch silbisch auftreten (Stimmgleitlaut, Sweet’s einfacher voice-glide). Derartig‘ sind viele der unbetonten deutschen e, namentlich aber auch oft die unbetonten englischen Vocale, z. B. das a von against, das o und er von together. Hier tönt die Stimme (bez. Murmelstimme) während des Uebergangs von der Ruhelage zum g, bez. von dem t zum g u.s.w., eine bestimmte Vocalstellung wird gar nicht eingehalten, daher denn auch das entstehende Lautproduct keine besondere Verwandtschaft mit einem bestimmten Vocal hat, am meisten ähnelt es noch dem ė¹ oder æ̇ (Sweet S. 66). Wir bezeichnen diesen Laut im Anschluss an Sweet’s ʌ (umgekehrtes v, für voice) durch ʌ̥, d. h. unbestimmter Gleitvocal; die specielle Qualität wird durch die Nachbarschaft bestimmt.

507. Auch Diphthonge können in ähnlicher Weise reducirt werden, indem nur der Gleitlaut zwischen beiden Componenten erzeugt wird. Reducirte Diphthonge haben in Folge dessen nur die Zeitdauer gewöhnlicher kurzer Vocale.

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/214&oldid=- (Version vom 21.6.2022)