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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

496—499. Reduction. 191


massgebend waren, einbüssen, und dadurch Modificationen erfahren, die in dem Lautsystem selbst noch nicht vorgesehen waren.

497. Nicht alle Schwächungen, Kürzungen etc. von Lauten werden als Reduction bezeichnet; z. B. nicht die Kürzung eines langen l zu kurzem l, weil dem letzteren immer noch die Eigenschaften eines Dauerlauts bleiben. Wir sprechen erst von einem reducirten l, wenn es die Eigenschaften eines Dauerlauts verliert, s. unten unter 2, von einem reducirten s, wenn es die Haupteigenschaften eines Spiranten, d.h. das Reibungsgeräusch einbüsst, u. dgl. mehr.

498. Da es sich hierbei zunächst um geschichtliche Veränderungen gegebener Laute handelt, so sollten die Reductionen, streng genommen, erst in dem Abschnitt über Lautwandel besprochen werden. Indessen liegen doch in den verschiedensten Idiomen Aussprachsweisen vor, die wir bei historischer Betrachtung zwar als ‘reducirt” zu bezeichnen haben, die aber doch immerhin auch ein empirisch gegebenes Material sind, dessen Verhältniss zu den früher aufgestellten Normalformen bereits hier erläutert werden muss.

Es kommen folgende Hauptformen der Reduction in Betracht:

1. Reduction des Reibungsgeräuschs von Spiranten (Geräuschreduction).

499. Diese Geräuschreduction kann auf zweierlei Weise geschehen, entweder durch Erweiterung der Enge bei Beibehaltung des Stromdrucks, oder durch Herabsetzung des letzteren unter Beibehaltung der Normalenge. Da beide Formen in praxi schwer auseinander zu halten sind und das Resultat das gleiche ist, so bezeichnen wir beide durch untergesetztes  ̭. Am gewöhnlichsten ist aber bei stimmlosen Spiranten die Reduction durch Erweiterung der Enge. Aus ihnen entstehen auf diese Weise Nebenformen, die einen mehr hauchartigen Charakter haben, indem das eigentliche spirantische Geräusch so gut wie ganz wegfällt. Man könnte diese Formen wohl als modificirte h bezeichnen; so wäre also ein derart reducirtes ein h mit s-Modification. Ein solches labiodentales habe ich von einem Papua z.B. in der Aussprache des malaischen Zahlworts f̭u̥eli 8 gehört. Ein postdentales θ̭ dieser Bildung ist das 329 besprochene chilenische θ und das englische θ̭ in der nachlässigen Aussprache von I think als I hink (Sweet S.39); ein habe ich

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/211&oldid=- (Version vom 18.6.2022)