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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen |
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1. Unter Phonetik verstehen wir die Lehre von der Sprachbildung, d. h. von der Erzeugung, dem Wesen und der Verwendung der Sprachlaute zur Bildung von Silben, Wörtern und Sätzen, endlich auch von den allgemeinen Bedingungen ihres Wandels und Verfalls. Somit bildet die Phonetik ein Grenzgebiet zwischen der Physik, insofern sie sich mit der akustischen Analyse der einzelnen Lautmassen beschäftigt, der Physiologie, insofern sie die Functionen der zur Erzeugung und Wahrnehmung der Sprache thätigen Organe erforscht, und endlich der Sprachwissenschaft, insofern sie über die Natur eines wichtigen Objectes derselben Aufschluss ertheilt.
2. Nur für die beiden genannten naturwissenschaftlichen Disciplinen kann die Erforschung des Werdens und der Natur der Einzellaute Selbstzweck sein, aus denen sich die Sprache aufbaut. Für den Sprachforscher ist die Phonetik nur eine Hülfswissenschaft. Demgemäss stuft sich auch das Interesse der Einzeldisciplinen an den verschiedenen Theilgebieten verschieden ab. Aufgabe und wesentlichstes Ziel der naturwissenschaftlichen Forschung ist es, die allgemeinen grundlegenden Gesetze über Natur, Bildung und Verwerthung der Sprachlaute festzustellen. Dem Sprachforscher fällt dagegen die Aufgabe zu, diese Grundgesetze in alle die Verzweigungen hinein zu verfolgen, welche sie in den verschiedenen Sprachen und Mundarten erfahren haben, und die Resultate dieser Specialforschung seinen wissenschaftlichen Zwecken nutzbar zu machen. Dem Naturforscher muss es demnach mehr auf das Allgemeine,
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/21&oldid=- (Version vom 11.5.2022)
