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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

491—494. Rundung (und Palatalisirung). 189


3. Rundung.

491. Beim undanderen gerundeten Vocalen ist die Thätigkeit der Lippen von grösserer Bedeutung als beim i, und die Einwirkung solcher Vocale auf benachbarte Laute oder Lautgruppen besteht denn auch wesentlich in der Aufnahme der Rundung (und Vorstülpung) der Lippen. Man kann daher diesen Vorgang a potiori mit dem Namen Rundung bezeichnen; Andere gebrauchen in gleichem Sinne auch das Wort Labialisirung (vgl. übrigens 483).

492. Im Ganzen verhält sich die Rundung der Palatalisirung analog, auch was ihre Gradabstufungen anlangt. Weil aber die Engenbildungen an den Lippen hier nicht so beträchtlich sind, so kommen auffallendere Reibungsgeräusche nicht so leicht zu Stande, oder sie werden von uns nicht als besondere Laute empfunden, zumal wir keine rein labialen Spiranten (ausser dem gewöhnlich reducirt gesprochenen w) zu kennen pflegen. Doch vgl. man z. B. dän. kʿun, pʿund, tʿunge; bei ihnen erfährt der Hauch der anlautenden Aspirata deutlich eine Modification durch die Reibung an den Lippenrändern.

Auch eine Verbindung von Rundung und Palatalisirung kommt oft vor als Folge der Einwirkung gerundeter Palatalvocale wie ö, ü, z. B. in dän. yve, pynte, kyst; doch ist hier die Palatalisirung meist nicht sehr stark, weil solche Vocale gerade den Sprachen fehlen, die sich (wie die slavischen) durch starke Palatalisirung auszeichnen.

493. Historisch betrachtet ist der Eintritt der Palatalisirung und Rundung in weitaus den meisten Fällen durch die Nachfolge palataler und gerundeter Vocale bedingt gewesen, weil wirklich isolirt auslautende Verbindungen von solchen Vocalen + Folgelaut nur selten vorkamen, bei inlautenden Verbindungen der Art der unsilbische Folgelaut in der Regel als Anlaut zur folgenden Silbe gezogen und damit dem Einflusse von deren Vocal unterworfen wurde. So treten denn beide Erscheinungen nach einem Vocal erst verhältnissmässig spät und vereinzelt auf. Einigermassen verbreitet sind fast nur die Uebergänge von Velaren nach einem i in Palatale (und weiterhin in Affricaten ; so z. B. altenglisch ich aus ags. i͡c, which aus hwyl͡c für hwi-lic u. dgl.).

494. Endlich ist, wie bereits angedeutet wurde, die palatalisirende oder labialisirende Einwirkung eines Vocals nicht

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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/209&oldid=- (Version vom 18.6.2022)