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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

188 489. Palatalisirung. 490. Velarisirung.


unsilbischen Stellungslaut von messbarer Dauer) vorkommen können, wird damit natürlich nicht geleugnet.

489. Charakteristisch ist für alle palatalisirten Laute die Engenbildung zwischen der Vorderzunge und dem harten Gaumen. Sprachgeschichtlich gewinnt diese dadurch eine besondere Bedeutung, dass sie bei Verschlusslauten auch als Schallerzeugerin auftreten kann, und zwar geschieht dies um so eher, je grösser die Druckstärke und die exspirirte Luftmenge ist. Wenn nämlich der Uebergang vom Verschluss zum folgenden Vocal nicht ganz schnell und mit vollkommen genauer Regelung des Stromdrucks vorgenommen wird, so heftet sich an das Explosionsgeräusch noch ein entsprechendes Reibungsgeräusch an, das nach stimmhaften Explosivlauten stimmhaft, nach stimmlosen stimmlos ist; man vgl. Worte wie russ. братьbratⁱ, пять = pⁱätⁱ oder lit. reĩḱ für reĩkia u.s.w. Diese Reibungsgeräusche ähneln wohl einem palatalen (d. h. dem stimmlosen Coorrespondenten unseres spirantischen j), doch sind sie keineswegs ohne Weiteres mit ihm identisch; vielmehr richten sie sich nach der speciellen Stellung des betreffenden palatalisirten Lautes. In den angeführten Beispielen ist das (Greräusch bei k ein ganz anderes, weiter rückwärts gebildetes als bei t, ausserdem haben die Geräusche meist stärkere Engenbildung als die und weichen vielfach nach der Seite palatalisirter s- und š-Laute ab (z. B. im Poln. wird ć aus altem und russ. ть = tⁱ, dz aus дь = dⁱ). Es ist hier sehr schwer eine (srenze zu ziehen, bei der einfacher palatalisirter Explosivlaut aufhört und palatalisirte Affricata beginnt.

2. Velarisirung.

490. Der Palatalisirung entgegengesetzt ist die Velarisirung, d. h. die Zurückziehung des Zungenrückens nach dem weichen Gaumen oder der Rachenwand hin. Sie tritt im Ganzen seltener als eine deutlich ausgeprägte Spracherscheinung auf als die Palatalisirung. Am leichtesten ist sie bei Labialen durchzuführen. Bei m͡u kann z.B. die Zunge ohne Störung der m-Articulation schon während der Dauer des m in der velaren u-Stellung stehn, oder bei mw während der Dauer des m in diese übergeführt werden. Bei Zungengaumenlauten ist dagegen die Einmischung velarer Zungenstellung wieder nur durch Uompromiss möglich (vgl. dazu etwa die Beispiele von 478).

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/208&oldid=- (Version vom 18.6.2022)