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Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen

487. 488, Palatalisirung. 187


Nicht selten geht dabei die Palatalisirung über die Zungenhöhe des palatalisirenden Vocals noch hinaus (auch bei i selbst: so ist z. B. die Zunge bei der Bildung des ń in ung. nyilik, d.h. ńīlik, dem Gaumen noch mehr genähert als für das i erforderlich ist).

487. Ein palatalisirter Laut ist an sich ein ebenso einheitlicher Laut als jeder beliebige nicht palatalisirte (indifferente) Laut. Palatalisirte Dauerlaute lassen sich also beliebig lange aushalten, ohne dass man die Palatalisirung aufgibt oder in j () übergeht. Bei den zahlreichen auslautenden нь, ль, сь des Russischen oder den ń, l, ś des Polnischen ist denn auch nicht die geringste Veränderung der Articulation während der Dauer des Lautes wahrzunehmen. Ebensowenig ist etwa bei russ. poln. p͡i, t͡i, k͡i oder b͡i, d͡i, g͡i von einem j () zwischen dem Verschlusslaut und dem i die Rede (doch vgl. 489), und doch unterscheiden sich die p, t, k; b, d, g dieser Verbindungen ganz deutlich durch die Farbe ihres Explosionsgeräusches von den indifferenten Parallelen in pa, ta, ka etc. Es ist also falsch, palatalisirte (oder mouillirte) Laute als Folgen von ‘Consonant + j ()’ zu definiren, wie das früher öfters geschehen ist (so ist beispielsweise ital. bagnoba-ń͡o, nicht = ban-i̯o: man achte auch auf die verschiedene Silbentrennung!).

488. Dagegen ist es richtig, dass sich specifische Gleitlaute von der Palatalstellung eines palatalisirten Lautes zu der mehr indifferenten Stellung eines weniger oder gar nicht palatalen Vocals für das Ohr mehr oder weniger bemerkbar machen, und zwar um so mehr, je grösser der Abstand zwischen Palatalund Vocalstellung ist (aber auch selbst in Fällen wie dem oben 486 erwähnten ung. nyilik). Ebenso kann auch der Uebergang von einem weniger palatalen oder nicht palatalen Vocal zu einem palatalisirten Nachbarlaut den Eindruck hervorrufen, als klinge diesem Folgelaut ein leises vor, das sich mit dem vorausgehenden Vocal diphthongisch verbinden kann. Aber die genannten Gleitlaute gehören ebensowenig als integrirende Bestandtheile zu dem palatalisirten Laute selbst wie beliebige andere Gleitlaute zu den Stellungslauten, die sie verbinden. Es ist also nochmals zu betonen, dass die eigentliche Palatalisirung nur in der veränderten Articulationsstellung der betreffenden Laute besteht; alles Uebrige sind nur Begleiterscheinungen. — Dass daneben wirkliche Verbindungen von palatalisirten Consonanten mit folgendem oder vorausgehendem (also einem

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Sievers: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen Sprachen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1901, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eduard_Sievers_-_Grundz%C3%BCge_der_Phonetik_-_1901.djvu/207&oldid=- (Version vom 18.6.2022)